7.05.2010

Harry Potter und die sieben Tore der Theosophie

Michael Frensch

Es ist nicht lange her, da tauchte im Kopf einer jungen angehenden Lehrerin, die auf der Wohnungssuche im Zug von Manchester nach London fuhr, ein junger Zauberer auf, „einfach so“ und zunächst „nur als Idee“. Da der verspätete Zug vier Stunden bis London benötigte, hatte diese Idee genügend Zeit, um in der Seele der jungen Frau immer mehr Gestalt anzunehmen, bis Harry Potter – so hieß der junge Zauberer – sie in seine Welt eingeführt und ihr seine Mission in immer neuen phantasiereichen Bildern mitgeteilt hatte. Noch am selben Tag fing die Frau mit dem Schreiben an. Aber sieben Jahre sollten vergehen, bis diese Schriften so weit gereift waren, dass Harry Potter auch in den Köpfen und Herzen von anderen Menschen auftauchen konnte – zuerst in einigen wenigen, dann in immer mehr … bis er endlich zu seiner ganzen Generation zu sprechen vermochte. Aber nicht nur diese allein bezauberte er, sondern auch unzählige Menschen anderer Alterstufen …

Wir wollen versuchen, seiner Botschaft nachzugehen. Wir wollen nach jenem Teil in der Fülle seiner Bücher suchen, in dem es um die Siebengliedrigkeit des Menschen und um dessen wahres Wesen geht, sowie um die siebenfältige Gestalt, in der das Böse in unserer Zeit an den Menschen herantritt. Lassen wir uns also von Harry Potter in die sieben Klassen der Schule von Hogwarts mitnehmen und treten wir mit ihm durch sieben Tore ein!

Das erste Tor: Die physische Welt – „Harry Potter und der Stein der Weisen“

Das erste Tor, durch das Harry Potter seine Generation führt, eröffnet den Zugang zur physischen Welt. Wie werden wir uns ihrer bewusst? Durch unsere Wahrnehmungen und die Begriffe, die wir uns davon bilden, entstehen unsere Vorstellungen von der Welt. Dank unserer Augen und unserer Hände wissen wir, dass wir darin leben. Was in keiner Weise sichtbar und berührbar, also nicht sinnlich wahrnehmbar ist, gehört nicht der physischen, sondern einer anderen Sphäre an. Wir erleben, dass in dieser Welt Notwendigkeit herrscht, die wir „ Naturgesetze“ nennen und deren wir uns mittels unseres Denkens und seiner Logik bewusst werden. Das am meisten Materiell-Physische, das wir in der Natur mit unseren Augen sehen, mit unseren Händen betasten und greifen können, ist der Stein, an dem die in der physischen Welt herrschende Schwerkraft am deutlichsten erfahrbar wird. Das Physische andererseits, das wir an uns selbst sehen und betasten können, ist unser eigener Körper. Wir erleben täglich, wie sehr dieser der Schwerkraft unterworfen ist, und wir wissen um seine Vergänglichkeit: Dass er irgendwann sterben und zu Staub und Asche zerfallen wird. Den Tod aufzuhalten, ihn zu überwinden und zu besiegen ist einer der tiefsten und drängendsten Triebe und Wünsche im Menschen. Dieser Tod herrscht auch in der Welt der Zauberer. Ihn zu besiegen, darum geht es auch Harry Potter und seinem dunklen Gegenspieler Voldemort.

Harry ist ein Zauberlehrling, der die physischen Gesetze zu überwinden lernt. So vermag er, durch die steinerne Mauer eines Bahnsteigs hindurchzukommen und in die andere, die magische Welt einzutreten; dort wird es ihm möglich, mittels eines von seinem Vater vererbten Tarnumhanges unsichtbar zu werden; er lernt dort auch, auf einem Besen zu fliegen und so die Schwerkraft zu überwinden; und er vermag es dort, den Stein der Weisen, der durch Verzauberung nur im Spiegel des Begehrens nicht aber in der wirklichen Welt vorhanden ist, in diese Welt hineinzubringen, ihn wieder zu materialisieren, weil Harry Potter nicht demjenigen folgt, das die Ursache von Illusion, Irrtum, Zerfall und Tod ist: die Begierde, die alle Dinge nicht um ihrer selbst Willen erstrebt, sondern sie als Instrumente und Mittel für die eigenen Zwecke zu missbrauchen sucht – im Gegensatz zu Voldemort.

Dieser Gegenspieler ist jener Andere, der den Tod flieht, zugleich aber von ihm lebt, ihn als Anführer der Todesser gleichsam verzehrt, weil er umso mehr an Kraft und Macht gewinnt, wie er Anderen das Leben stiehlt; so wird er gleichsam zum Todeshauch, dem Flug des Todes durch das Land der Zauberer und Hexen. Darum trägt er den Namen, von dem er erzwingt, dass er nicht genannt werden darf: Vol-de-mort und der im Französischen die genannte dreifache Bedeutung hat: Diebstahl, Flucht und Flug des Todes. Dieser Gegenspieler Harry Potters hat seine physische Gestalt verloren, als er Harrys Mutter tötete, die durch dieses Opfer das Leben ihres einjährigen Sohnes rettet. Seitdem ist er selbst ein auf die Größe eines Kleinkindes geschrumpfter Parasit, der sich durch Einhornblut und durch Besitzergreifen von Körpern Anderer – ob Tiere, ob Menschen – am Leben hält und seitdem wie nichts Anderes den Stein der Weisen begehrt, der das Unedle, das er berührt, in Gold verwandelt und den physischen Leib kräftigt und unsterblich werden lässt.

Ein klares Denken, wie es für das Schachspiel nötig ist (Ron), eine genaue Kenntnis der in Büchern mitgeteilten logischen Gesetze, Regeln und Erfahrungen und der damit verbundenen Fähigkeit, einen kühlen Kopf zu bewahren (Hermine) sowie Unerschrockenheit, Mut und eine begierdefreie Wahrnehmung, wie sie der magische Spiegel fordert, dessen Name Erised1 ist, (Harry) – diese sind es letztlich, die Harry und seine Freunde die Kraft geben, den Plan Voldemorts zu vereiteln, sich des Steines der Weisen zu bemächtigen. So wird das Böse, wie es auf dem physischen Plan wirkt, durch den rechten Gebrauch jener Kräfte zurückgewiesen und überwunden, mit denen eine wirklichkeitsgemäße Erkenntnis der physischen Welt überhaupt erst möglich wird.

1) The Mirror of Erised is a mystical mirror discovered by Harry in a back corridor of Hogwarts. On it is inscribed, erised stra ehru oyt ube cafru oyt on wohsi — which, when reversed and correctly spaced, reads I show not your face but your heart’s desire. Harry, upon encountering the Mirror, can see his parents. According to Dumbledore, the Mirror „shows us nothing more or less than the deepest, most desperate desire of our hearts“; which is why Harry sees his family – but cautions Harry that the mirror gives neither knowledge nor truth and that men have wasted away before it, entranced by what they see. The Mirror of Erised was the final protection given to the Philosopher’s Stone in the first book. Dumbledore hid the Mirror and hid the Stone inside it, knowing that only a person who wanted to find the Stone, but not use it, would be able to obtain the stone. Anyone else would see himself making an Elixir of Life or turning things to gold, rather than actually finding the Stone. (Source: Internet)

Das zweite Tor: die ätherische Welt – „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“

Das nächste Tor, durch das Harry Potter geht, führt in die Welt des Lebendigen und dessen Kräfte. In der Natur wirken diese Kräfte am deutlichsten in der Pflanzenwelt. Die Pflanze hat dem Stein voraus, dass sie lebt. Auch der Mensch ist lebendig, auch er besitzt eine nicht sichtbare Organisation, die aus der Substanz der Lebenskräfte oder des Ätherischen gebildet ist. Dieser ätherische Leib, der den physischen Leib durchdringt und von innen heraus belebt, ist ein Zeitenleib; er ist mit dem Menschen von seiner Geburt bis zum Tod ununterbrochen verbunden. Er trägt alle Er-leb-nisse in sich, die darum gleichsam in ihm gelesen werden können. So ist der Lebensleib des Menschen zugleich sein Erinnerungsleib.

Die Erschöpfung der Lebenskräfte, die sich in Müdigkeit und Schwäche zeigt, hängt mit Wirkungen zusammen, die selbst nicht ätherischer Natur sind. Sie können den Ätherleib so schädigen, dass das Leben in ihm wie erstarrt und das von ihm belebte Wesen dadurch wie versteinert erscheint. Andererseits können durch parasitäre Vorgänge dem Lebensleib Kräfte entzogen werden, die dann dem Parasiten zu Gute kommen, indem sie dessen Lebenskräfte stärken.

Die genannen Elemente kommen nun alle im zweiten der sieben Harry Potter-Bücher: zum Tragen. So lernt Harry in den Gewächshäusern von Hogwarts viel über die Zauberkräfte bestimmter Pflanzen, insbesondere der Alraune, die ab einem bestimmten Stadium Versteinerungen rückgängig machen kann. Das Bild für das sich immer erneuernde Leben stellen zwei Tiere vor Augen: der Phönix des Schulleiters Albus Dumbledore ist ein Vogel, der, wenn er alt geworden ist, in Flammen aufgeht und zu Asche wird, um als Küken daraus wieder hervorzugehen; und die Schlange, die ihre alte Haut abwirft und darunter eine jungfräuliche neue Haut hervorbringt. Während der Phönix bei der Verwandlung durch den Tod geht, bleibt die Schlange bei ihrem alten Leben. Der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Harry und Lord Voldemort, auf der Stufe des Ätherischen geschieht im Zeichen von sich erneuerndem und sich bloß verlängerndem Leben, von Phönix und Basilisk, dem Mächtigsten unter den Schlangen, dessen Blick versteinert und dessen tödlicher giftiger Biss nur durch die Tränen aus den Augen des Phönix geheilt werden kann.

Durch bestimmte magische Handlungen ist es möglich, den Ätherleib, der sich normalerweise innerhalb von 3 Tagen nach dem Tode auflöst, zu erhalten. Er ist dann wie ein erhalten gebliebenes „lebendiges Buch“, in dem man in Bildern das gelebte Leben zu „lesen“ vermag und das dann selbst eine Art Eigenleben besitzen kann. Dieser Praxis bedient sich Tom Marvolo Riddle/Lord Voldemort, dessen Notizbuch, das er, als er 16 Jahre war, in Hogwart zurückgelassen hatte, gleichsam lebendig geblieben ist. Nur indem Harry in das Notizbuch, mittels dessen der Ätherleib des 16-jährigen Riddle erhalten gebliebenen ist, den Giftzahn des Basilisken hineinstößt, kann sich Riddles alte Äthergestalt auflösen und Voldemorts Angriff in der ätherischen Welt abgewehrt werden.

Wie es ein lebendiges „Buch“ des einzelnen Menschen gibt – sein Ätherleib -, so gibt es ein „Buch“, in dem die Menschheits- und Weltgeschichte verzeichnet ist: die sogenannte Akasha-Chronik, die aus der Äthersubstanz des Kosmos gewoben ist. In der „Chamber of Secrets“ begegnet Harry Potter einem kleinen Teil dieser Akasha-Chronik, nämlich der Vergangenheit von Tom Riddle/Lord Voldemort in Hogwards. Wird eine vergangene, nur noch als Ätherleib in der Akasha-Chronik vorhandene Gestalt in die Gegenwart geholt, so wird sie für gewöhnlich dort zum bloßen Gespenst. Dadurch jedoch, dass Tom Riddle sich Zugang zu den Ätherkräften eines in der Gegenwart lebenden jungen Mädchens, Ginny Weasley, verschafft hat, kann Lord Voldemort in seiner vergangenen Ätherhülle lebendig werden und in der Gegenwart handeln.

Zu vermerken ist, dass der Lauf der Zeit in Traditionen und Chroniken sichtbar wird, die auf ihren Ursprung zurückführen. Folgerichtig werden im zweiten Buch die beiden bedeutendsten Häuser in Hogwards, Slytherin und Gryffindor, auf zwei mächtige Symbole zurückgeführt, die für ihre Begründer stehen: eine überlebensgroße steinerne Plastik von Salazar Slytherin, die in der Kammer des Schreckens steht und aus deren sich öffnendem Munde auf Geheiß Tom Riddles der Basilisk hervorgeht, und das kostbare Schwert von Godric Gryffindor, das im von Albus Dumbledore zuhilfe gesandten sprechenden Hut verborgen ist und mit dem Harry den Basilisken zu töten vermag.

Das dritte Tor: Die Astralwelt – Harry Potter und der Gefangene von Askaban

Das dritte Tor führt Harry im dritten Schuljahr in Hogwards in die astralische Welt. Wie das Ätherische mit dem Flüssigen zusammenhängt (der Basilisk bewegt sich in den Abwasserrohren von Hogwards, seine Waffe ist das Gift, das beim Biss auströmt, wie die Tränenflüssigkeit des Phönix das Gegengift dazu ist), so das Astrale mit der Luft. Und wie das Ätherische in der Pflanze seinen treffenden Ausdruck findet, so das Astrale im Tier.

Der Mensch hat mit dem Mineralreich den physischen Leib, mit der Pflanzenwelt den Ätherleib und mit der Tierwelt den Astralleib gemeinsam, der eng mit seinem Charakter zusammenhängt, wie sein Temperament mit dem Ätherleib. Das Astrale eines Menschen kann imaginativ als Tiergestalt erscheinen, in der sein Charakter zum Ausdruck kommt. Wird er von den Kräften seines Astralleibs beherrscht, so kann sich dies einerseits in Hochmut, Geschwätzigkeit und Aufgeblasenheit und andererseits in Zorn zeigen. Alle diese Möglichkeiten erscheinen gleich am Anfang des dritten der sieben Harry Potter-Bücher: Tante Magda, die im Ligusterweg im Haus der Dursleys seine Eltern beleidigt und so bei ihm einen Zornausbruch provoziert, wird von Harry mit einem Fluch belegt, der ihre ganze Aufgeblasenheit zum Vorschein bringt: aufgebläht wie ein Ballon entschwebt sie in die Lüfte. Andererseits erblickt Harry auf seiner darauffolgenden nächtlichen Flucht aus dem Haus der Dursleys für einen Augenblickt in einem dunklen Gebüsch eine riesige schwarze Hundegestalt, die ihn mit feurigen Augen und aufgerissenem Maul anstarrt. Er ist in der Astralwelt angekommen

In Mensch und Tier manifestiert sich das Astrale durch das Bewusstsein. Verbindet sich der Astralleib mit dem ätherischen und physischen Leib, so erwacht es; zieht er sich daraus zurück, so schläft der Mensch ein, oder er wird ohnmächtig, wenn das Herausgehen plötzlich oder mit Gewalt (wie zum Beispiel bei der Narkose) geschieht. Löst sich bei einem älteren Menschen die Verbindung zwischen Astralleib und den beiden unteren Wesensgliedern, ohne dass er dem Einhalt gebieten kann, so verdämmert sein Bewusstsein immer mehr: Er wird dement. In der magischen Welt kann der Astralleib absichtlich von seinem Träger abgezogen bzw. weggesaugt werden, so dass der Angegriffene das Bewusstsein und die Erinnerung verliert und ohnmächtig wird oder dahinvegetiert. Diejenigen, die in der Zauberwelt diese Arbeit verrichten, werden daher als Dementoren bezeichnet. Ihre größte Beweglichkeit und Wirksamkeit erreichen sie in der Luft. So bilden sie einen magischen Luftkreis um Hogwarts, dem keiner entkommen kann und dem Harry kurzfristig beim Quidditch-Spiel zum Opfer fällt. Nur der Patronus-Fluch kann Dementoren abwehren. Worin besteht er?– Aus dem Stab des Zauberers geht eine leuchtende Tiergestalt hervor, vor deren Licht der Dementor zurückweicht und verschwindet. Die Kraft für diesen Fluch erlangt der Zauberer aus der Beherrschung seines Astralleibes: Je mehr er das wilde, in seinen Astralleib gebannte Tier zu bändigen und zu befreien vermag, indem er an etwas Positives, Schönes, Erhebendes denkt, umso mehr kann es in seiner gewandelten Kraft und befreiten Gestalt, die zugleich sein wahres Wesen ist, zu seinem Schutz wirken.

Ein Zauberer, der in der Beherrschung seines Astralleibes entweder durch Verwendung von magischem Zwang oder durch innere Arbeit weit fortgeschritten ist, kann sich – als Animagus – selbst in ein Tier verwandeln, das dem Wesen und Charakter des Animagus entspricht. So tritt Peter Pettigraw, der auch „Wurmschwanz“ heißt und Harrys Eltern an Voldemort verraten hat, als Ratte auf. Harrys Patenonkel Sirius Black wiederum, der in Askaban, dem Gefängnis für Zauberer, gefangen gehalten wurde und als gefährlicher Schwarzmagier verleumdet wird (Verleumdung und Lüge leben im Astralleib) vermag es, sich in einen Hund zu verwandeln (Sirius aus dem Sternbild „Großer Hund“ ist selbst der Hundsstern, er repräsentierrt das höhere Wesen des Hundes, das mit Treue und Zuverlässigkeit verbunden ist). Sirius Black ist jener schwarze Hund, den Harry zu Beginn des Buches kurz erblickt hat. Remus Lupin wiederum (der Name setzt sich aus dem Lateinischen lupus = Wolf und dem von einer Wölfin genährten Mitbegründer Roms Remus zusammen), der  in diesem Schuljahr in Hogwards Professor für die Abwehr der schwarzen Künste ist, kann seinen Astralleib nicht immer unter Kontrolle halten; zu Vollmond wird er vom Tier in sich überwältigt und mutiert zum reißenden Werwolf, mit dem der sich einen Hund, d.h. in den gezähmten Wolf verwandelnde Sirius Black kämpft, um Harry und seine Freunde zu schützen. In diesem Kampf spiegelt sich der Streit der irdisch-niederen mit den siderisch-höheren Astralkräften.

Hochmut ist die Ursünde des Astralleibes, in dessen Gefolge Lüge, Verleumdung Hass und Mordlust auftreten. Der Hippogreif Seidenschnabel, der zugleich das Lufttier Adler und des Erdentier Pferd in sich vereinigt, ist die prüfende Instanz. Wer sich vor diesem von Hagrid gehüteten magischen Geschöpf ehrlich verneigt, wird dessen Freund; wer ihm von oben herab achtlos begegnet – wie Malfoy, Harrys heimtückischer Schülerkollege aus dem Hause Slytherin – wird von ihm in den Staub geworfen.

In der Astralwelt verläuft die Zeit genau umgekehrt wie in der physisch-ätherischen Welt: Während sie hier aus der Vergangenheit in die Zukunft fließt, kommt sie im Astralen aus der Zukunft und strömt durch das Tor der Gegenwart in die Vergangenheit. Wer – wie dank eines besonderen Instruments Hermine – die Gegenwart als Zusammentreffen beider Zeitströme zu erleben lernt, kann sich immer mehr in beiden zugleich aufhalten. In der magischen Welt vermag er dann, den Punkt der Gegenwart auf einen anderen Ort auf der Zeitachse „zurückzuversetzen“ und von da an die Zukunft noch einmal anders zu gestalten. Ein vergangener Zeitabschnitt, in dem die niederen, alles mit ihrer einkerkernden, betäubenden und tötenden Macht bedrohenden Astralkräfte besonders wirksam waren, kann dann gleichsam von höherer Warte (derjenigen der verwandelten höheren Astralkräfte) aus noch einmal neu gestaltet werden. Genau diese durch das besonderes Instrument verliehene Fähigkeit von Hermine, in die sie Ron und Harry einbezieht, ist es, die ihnen auf Dumbledores entsprechenden Hinweis hin erlaubt, den Geschehnissen noch einmal eine andere, positive Richtung zu geben und so die Macht des Bösen, wie sie im Astralraum wirkt, zu brechen.

Die größte im Astralleib schlummernde Versuchung ist die Rache. Als Harry Peter Pettygrew-Wurmschwanz in seiner Verächtlichkeit im Staube liegen sieht, und Lupin und Sirius Black zu seiner Tötung ansetzen, ruft er aus, dass sie ihn nicht töten sollen. Als Pettygrew sich dafür bei Harry bedankt, stellt dieser klar, dass er dies nicht wegen Wurmschwanz tue, sondern weil er nicht glaube, dass sein Vater gewollt hätte, dass sie wegen des Verräters selbst zu Mördern würden. Hätte Rachsucht den wehrlosen Pettygrew getötet, wären sie dem Tier in sich zum Opfer gefallen und selbst wie Voldemort geworden. Harry besteht diese Prüfung: Wer den Weg der Liebe geht, den Voldemort nicht kennt, darf und kann nicht töten. Er erhebt sich über das Tier in sich und kommt so vor das vierte Tor.

Das vierte Tor: Das Reich des Ich – „Harry Potter und der Feuerkelch“

Das vierte Tor, durch das Harry Potter nun zu gehen hat, führt in das Reich des Ich. Während der Mensch seinen physischen Leib mit dem Mineralreich, den Ätherleib mit dem Pflanzenreich und seinen Astralleib mit dem Tierreich gemeinsam hat, steht er mit seinem Ich allein in der Welt. Das Alleinsein kann zu Einsamkeit und Isolation führen. Darum gehört die Suche nach Partnerschaft und Freundschaft zu den Offenbarungen des Ich in der Welt. Andererseits zeigt der Mensch durch seine unverwechselbare Persönlichkeit, sein Ego, seinen Wert und seine Bedeutung, durch die er sich von anderen Menschen unterscheidet. Die Unterschiedlich­keit kann zu Rivalität, Wettbewerb, Neid und dem Drang führen, sich über Andere zu erheben und sie zu beherrschen. Aber ganz gleich, ob eine Persönlichkeit sozial ist oder tyrannisch handelt, ob sie aufrecht durch das Leben geht oder sich dem Willen eines Anderen beugt und sich seiner Macht unterwirft: Sie muss hierzu inkarniert sein, d.h. Knochen, Fleisch und Blut besitzen. Hierbei kommt dem Blut eine besondere Bedeutung zu, denn in ihm lebt das Ich des Menschen und findet darin seinen unmittelbaren Ausdruck, der sich im Erröten und Erblassen zeigen kann.

Knochen, Fleisch und Blut jedoch fehlen Lord Voldemort, denn er hat sie bei dem Versuch, den einjährigen Harry Potter zu töten, verloren. Um sein Ziel zu erreichen, als größter Magier auf der Welt zu leben, muss er sie sich durch Magie und Gewalt von Anderen beschaffen: die Knochen von seinem von ihm ermordeten Vater; das Fleisch von seinem Anhänger und Diener Wurmschwanz, der hierfür seine Hand abhackt; das Blut aber von seinem größten Gegner Harry Potter. Darum geht es vom ersten Kapitel des Buches an um Harrys Blut – und damit um sein Ich.

Das Ich eines Menschen ist umso vollkommener, je mehr es die drei Seelenkräfte Denken, Fühlen und Wollen beherrscht. In der vierten Klasse der Schule von Hogward soll dies im Trimagischen Turnier durch die Meisterung von drei Prüfungen unter Beweis gestellt werden: die auf den Mut zielende Feuerprobe, die darin besteht, einem gewaltigen feuerspeienden Drachen ein goldenes Ei zu entwenden; die auf die Treue zielende Wasserprobe, in der es darum geht, einen ohnmächtigen, in tödlicher Gefahr befindlichen Freund oder Partner nicht zu vergessen und aus der Gewalt von Wassermenschen und Seeungeheuern zu retten; und die auf Strenge und Gerechtigkeit zielende Luftprobe, deren Prüfung es ist, in einem Labyrinth auf sich allein gestellt zu sein und aus eigener Kraft trotz aller Irrungen, Wirrungen und Bedrohungen das Zentrum zu finden. In diesem Zentrum wartet der trimagische Pokal auf denjenigen, der ihn zuerst erreicht. Die Champions der besten internationalen Schulen für Magie aus Bulgarien, Frankreich und England (Hogwarts) treten gegeneinander an. Gewinner und Empfänger des trimagischen Pokals ist, wer über genügend logisches Denken. Mut, magisches Können und Gewandheit im Umgang mit Gefahren verfügt.

Zur menschlichen Persönlichkeit, zum Ich, gehört der Name, bei dem wir gerufen werden. Obwohl er noch nicht das vorgeschriebene Alter von 16 Jahren hat und eigentlich nur drei Champions teilnehmen dürfen, wird Harry Potters Name als vierter vom magischen Feuerkelch ausgeworfen; das Pergament, auf dem er geschrieben steht, hat dem Feuer jenes magischen Gefäßes standgehalten, das darüber bestimmt, wer am Trimagischen Turnier teilnehmen darf und wer nicht. Harry hat demnach ein im magischen Feuer geprüftes starkes Ich.

Je stärker das Ich eines Menschen ist, je mehr erlangt sein Name in der Welt an Ruf, muss er sich mit Berühmtheit aber auch mit Gerüchten und, im schlimmsten Fall, mit Rufmord auseinandersetzen. Hierbei spielen die Medien eine zentrale Rolle. Harry Potters Name ist in der Welt der Magier berühmt, seitdem er als Einjähriger dank dem Opfer seiner Mutter dem von Voldemort ausgestoßenen Tötungs-Fluch Avada Kedavra widerstehen konnte. Auch er muss sich mit Bewunderung und Neid und mit den von den Zeitschriften der Zaubererwelt verbreiteten Gerüchten sowie mit Verleumdung und Rufmord auseinandersetzen.

Zum Ich des Menschen gehört die Tatsache, dass es einen Doppelgänger hat, der aus der Summe aller egoistischen Taten zusammengesetzt und ein wichtiges Werkzeug des Bösen ist. Das Buch führt diesen Doppelgänger in der Gestalt des „Mad-eye-Moody“ vor Augen, in dem sich ein durch Vielsafttrank verwandelter, besonders treuer Todesser Voldemorts verbirgt, der den wahren Moody in dessen eigenem Koffer magisch gefesselt hat und ihn verborgen hält. Dieser Doppelgänger des eigentlichen Professors für die Abwehr der Schwarzen Künste ist das Werkzeug, durch das Voldemort an Harry Potter und dessen Blut herankommt. Er sorgt durch schwarze Magie, die im Gewande der weißen auftritt, nicht nur dafür, dass Harrys Name im Feuerkelch erscheint, sondern auch, dass er auch den trimagischen Pokal gewinnen kann, den Moodys Doppelgänger in einen Portschlüssel verwandelt hat – einen Gegenstand, der denjenigen, der ihn berührt, augenblicklich an den vom Magier bestimmten Ort versetzt.

Zu den wichtigesten Manifestationen des Ich gehört es, „Ja“ und „Nein“ zu sagen; darin lebt sein Wille und seine Freiheit. Ein schwaches Ich neigt dazu, sich Stärkeren zu unterwerfen oder sich von ihnen unterwerfen zu lassen. Der Imperius-Fluch, einer von drei verbotenen und unverzeihlichen Flüchen, bricht die Autonomie des Ich und macht den von diesem Fluch Betroffenen zur Marionette und zum Instrument des Magiers. Um Unterwerfung und Befreiung geht es auch im vierten Buch. So ist zum Beispiel fast das ganze Volk der Elfen durch die Herrschaft der Zauberer versklavt; Hermine trachtet danach, es zu befreien, muss aber erkennen, dass glückliche Sklaven die ärgsten Feinde der Freiheit sind.

Die tiefste Manifestation des Ich ist das Stehen aus eigener Kraft. Das muss auch Voldemort erkennen. Er, der nach Unterwerfung und uneingeschränkter Macht trachtet, mit der er den Tod zu überwinden sucht, tritt dem gefesselten Harry gegenüber, nachdem er durch dessen Blut, durch die abgehackte Hand von Wurmschwanz und durch das tote Gebein seines ermordeten Vaters im Zauberkessel wiedererstanden ist. Im Beisein seiner Todesser löst er Harrys um den Grabstein seines ermordeten Vaters geschlungene Fesseln und fordert ihn zum Duell auf. Er zwingt ihn mit der Kraft seines Zauberstabes zur Verbeugung, um ihn dann mit der Macht des Kruziatus-Fluches, des zweiten der drei verbotenen Flüche, zu bedrohen, dasjenige auszusprechen, was er von ihm verlangt: die Worte der Unterwerfung. Aber mit der letzten ihm verbliebenen Kraft – der Kraft seines eigenen, ganz allein auf sich gestellten Ichs fern von Hogward und Dumbledors schützender Hand – richtet sich Harry auf und widersteht dem dunklen Lord mit den Worten: I WILL NOT! Ungebeugt und frei also entscheidet er, Voldemort im magischen Zweikampf entgegen zu treten, auch wenn er davon ausgehen muss, dass er sterben wird. Dies ist die höchste Prüfung des Ich: Ganz allein aus der eigenen Kraft jeglicher Unterwerfung und Knechtung zu widersagen und um der eigenen Autonomie und Freiheit Willen, in denen allein das Ich wahrhaft leben kann, den Tod in Kauf zu nehmen, d.h. notfalls aufrecht zu sterben. Und genau diese freie Entscheidung des Ich, Nein! zu sagen angesichts der drohenden Tötung, bringt jene Hilfe heran, die Harry hilft, im Zweikampf nicht zu unterliegen und den Fängen Voldemorts zu entkommen.

Mit dieser Entscheidung aber beginnt die Scheidung der Geister in der Welt der Zauberer und damit ein ganz neues Kapitel in der Harry-Potter-Saga, das ihn vor das fünfte Tor führt.

Das fünfte Tor: Das Gebiet von Manas oder dem Geistselbst – „Harry Potter und der Orden des Phönix“

Wenn der Mensch die Prüfungen des Ich bestanden hat, deren höchste darin besteht, dem Tod zu begegnen, beginnt sich in ihm eine neue Fähigkeit bemerkbar zu machen. Man wird dies verstehen, wenn man sich das Ich als eine Art Auge vorstellt, mit dem der Mensch das Moralische und Unmoralische in der Welt sieht, in der er handelt. Indem er rein aus seiner Ich-Kraft heraus dem Bösen widersteht und am Guten festhält, entwickelt sich sein Unterscheidungsvermögen. Er verfügt dann gewissermaßen über zwei Augen: ein „unteres“, mit dem er die Geheimnisse des Bösen, und ein „oberes“, mit dem er die Mysterien des Guten sieht. Da beide „Augen“ Offenbarungsformen seines Ichs sind, leben in ihm von nun an ein „niederes“ und ein „höheres Ich“ und er muss lernen, beide auseinander zu halten, was für längere Zeit zu großen Vewirrungen und inneren Unsicherheiten führen kann. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass er Wesenheiten und Zusammenhänge zu sehen beginnt, die er vor seiner Begegnung mit dem Tod nicht wahrnehmen und erkennen konnte. Mit der Bildung dieser Fähigkeiten beginnt er sich zugleich von den vertrauten Menschen seiner Umgebung zu unterscheiden. Diese bemerken, dass etwas an ihm anders geworden ist, das sie nicht verstehen, so dass er Gefahr läuft, ausgegrenzt und als Sonderling, Lügner, wenn nicht als Wahnsinniger oder wenigstens als Spinner angesehen zu werden.

All das widerfährt Harry Potter, nachdem er durch das fünfte Tor geschritten ist. Er hatte als einziger gesehen, wie der dunkle Lord wiedererstanden ist und seinen Freund Cedric getötet hat, und kann von da an in Visionen und Träumen Voldemorts Handlungen mit dem Auge seines „niederen Ichs“ schauen, wobei er Gefahr läuft, sich mit dem Geschauten zu identifizieren – ein Erlebnis, in dem das Böse von ihm selbst immer mehr Besitz zu ergreifen und Harry selbst ein Teil des Bösen zu werden droht. Denn die Begegnung mit dem Bösen ist eine Straße mit Gegenverkehr: Wer es anschaut, wird von ihm ebenfalls angeschaut, und durch diesen „bösen Blick“ kann es Einlass ins Innere finden. Um dieser Gefahr zu begegnen, lernt Harry bei Professor Snape Oklumentik – die Kunst der Abwehr der Besitzergreifung und Zerstörung des eigenen Denkens durch den schwarzen Magier.

Wer Zugang zu seinem höheren Ich gefunden hat, kann dadurch zum Lehrer für andere werden, die auf diesem Pfad nicht so weit fortgeschritten sind – wenn diese es in Freiheit wollen. So wird Harry für seine Freunde und Gefährten zum Lehrer, der sie dem Bösen ins Auge zu schauen und es zu bekämpfen lehrt, wobei die Abwehr schwarzmagischer Angriffe im Zentrum steht. Es entsteht „Dumbledors Armee“. Unter den vielen Flüchen, die deren Mitglieder in Harrys Klasse lernen, ist der bereits erwähnte, schon im dritten, mit dem Astralen zusammenhängenden Schuljahr wichtige Patronus von zentraler Bedeutung, weil er nur hervorgerufen werden kann, wenn der Magier sich einerseits das Edelste und Schönste vor sein „Auge des Guten“ zu führen vermag, während er mit seinem unteren, auf das Böse gerichteten Auge den Angriff der Dementoren durchschaut.

Mit der „Scheidung der Geister“ ist das Entstehen mehrere Formen von Gemeinschaft verbunden: Diejenigen, die nur mit dem unteren Auge auf das Böse sehen, werden selbst zu einem Glied davon und verlieren jeglichen Zugang zu ihrem höheren Ich; diejenigen, die die Augen vor dem Bösen verschließen, werden zu einer Organisation der Leugner der Existenz des Bösen, die sich und Anderen notfalls mit inquisitorischen Mitteln jegliches Reden darüber verbieten; und diejenigen, die beide Augen aufmachen und daher von den zwei anderen einmal aus Furcht das andere Mal aus Hass angefeindet und verfolgt werden; sie werden zu einer Gemeinschaft von befreundeten Kampfgefährten. Im fünften Buch scheiden sich die Geister in diesem Sinne, und es kommt zu drei Arten des Zusammenschlusses: die von Macht- und Mordgelüsten getriebene Gemeinschaft der Todesser, die alle unselbständige Glieder und Werkzeuge des schwarzen Magiers Voldemort sind; die um das Zaubereiministerium versammelte Angst- und Zwangs-Organisation der Leugner der Existenz des Bösen, welche die große Mehrheit bilden und deren Abgesandte Umbridge mit mittelalterlichen Inquisitions-Methoden die Schule von Hogwarts in diesem Sinne zu kontrollieren strebt; und die frei gebildete Gemeinschaft von ihre Furcht überwindenden Gefährten, die den Tatsachen mutig ins Auge sehen und gemeinsam den Kampf mit Voldemort und seinen Anhängern aufnehmen. Beim ersten Auftreten Voldemorts vor 16 Jahren wurde sie von jener Gruppe von „Auroren“ gebildet, die sich seitdem im von Dumbledor geleiteten „Orden des Phönix“ zusammenfinden; bei der Wiederkehr Voldemorts kommt  „Dumbledors Armee“ hinzu.

Mit dem Auge seines höheren Ichs kann der Mensch über seine rein irdische Persönlichkeit hinausblicken und den Grund für seine Inkarnation erkennen. Seine eigentliche Berufung wird dann offenbar:  der wirkliche Name (Manas), den sein höheres Selbst als Geist-Selbst in der geistigen Welt trägt. Diese Berufung kann bei bestimmten Menschen schon (von den Eltern) vor oder (von hellsichtigen Menschen) kurz nach der Geburt des Betreffenden in einer Art prophetischer Vorausschau erkannt werden. Eine solche Prophezeihung umschwebt auch Harry Potter seit frühester Kindheit. Und da Voldemort von einem Teil dieser Prophezeihung weiß, die weissagt, dass ihm in Harry Potter ein ebenbürtige Gegener heranzuwachsen droht, ist er seit Harrys Geburt bestrebt, ihn zu ermorden.

Um diese in der Prophezeihung mitgeteilte Berufung, deren vollständigen Wortlaut Voldemort sich mit schwarzmagischen Mitteln zu verschaffen sucht, kreist das fünfte Buch. An ihr festzuhalten, dem Geistselbst (Manas) auch in Situationen treu zu bleiben, in denen Harry die Berufung mit allen Mitteln entrissen zu werden droht, stellt für ihn in der fünften Klasse seiner Schulung aber nur die eine zu meis­ternde Prüfung dar, die er nicht alleine bestehen kann, weil er auf die Kampf-Gemeinschaft seiner Freunde angwiesen ist. Denn ein Teil der Prüfungen auf der Manas-Stufe ist einer sich in einem gemeinsamen geistigen Ziel frei zusammenschließenden Gemeinschaft gestellt – einer Gemeinschaft von einander vertrauenden und sich gegenseitig schätzenden und liebenden Gefährten, die den Mut haben und es lernen, mit dem oberen und dem unteren Auge zugleich in die Welt zu schauen.

Die andere zu meisternde Prüfung betrifft denjenigen, der auf der Stufe des Manas angekommen ist, selbst. Sie besteht darin, von höherer Warte aus den Zorn und die Rachsucht beherrschen zu lernen, die beide im Astralleib wirken. Der beherrschte und umgewandelte Astralleib wird zu Manas. Auch hier gibt es zwei Arten der Herrschaft, und um beide geht es im Buch: Die eine wird auf dem inneren Pfad der Selbstbeherrschung erlernt (Harry und seine Freunde); die andere wird von außen durch Zwang und Gewalt ausgeübt (das Zaubereiministerium, der Staat). Harry beschreitet den ersten Pfad. So muss er es lernen, seinen ständig anwachsenden Zorn zu bändigen, der sich auch gegen den von ihm hoch verehrten, ihn jedoch vernachlässigenden, ja schneidenden Dumbledor richtet; und er muss die Versuchung überwinden, aus Schmerz und Rache jene Hexe zu töten, die den von ihm verehrten und geliebten Paten Sirius Black mit dem Avada Kedravra-Fluch getötet hat und nun, von Harrys Fluch gebannt, wehrlos vor ihm liegt, während die Stimme Voldemorts in ihm ertönt: „Töte sie! Sie hat es verdient!“

Meistert man die mit der Manas-Stufe verbundenen Prüfungen, dann kann sich Erleuchtung einstellen: Man versteht und überschaut dann bestimmte Geheimnisse des Guten und des Bösen von höherer Warte aus. Meistert man sie nicht, hält man die Spannung von Gut und Böse nicht aus, so kann Besessenheit die Folge sein. In diesem Falle wird der Betreffende vom Bösen überwältigt, das von ihm Besitz ergreift. Auch durch diese Prüfung muss Harry am Ende des Buches hindurch, als der von Dumbledor bekämpfte und gejagte Voldemort in ihn hineinfährt und aus ihm zu sprechen beginnt. Harry jedoch ringt den Bösen in sich selbst nieder und vertreibt Voldemort aus seiner Seele dank seiner Erinnerung an die Liebe zu seinen Eltern und zu Sirius Black und dank seiner Gedanken an die Treue und Verbundenheit mit seinen Freunden und Gefährten.

Harry Potter hat die Prüfungen des Manas bestanden und kann in die sechste Klasse seiner Schulung eintreten, die ihn vor das sechste Tor führt.

Das sechste Tor: Die Wirklichkeit von Buddhi oder dem Lebensgeist – „Harry Potter und der Halbblut-Prinz“

Fragt man, welches die Kraft ist, die das „obere Auge“, das in die Mysterien des Guten schaut, offen hält, so lautet die Antwort: die Liebe. Die Liebe schenkt dem Ich des Menschen in der „oberen“ geis­tigen Welt die Erfahrung des Seins, der Wesensfülle, die im Ich Bin zum Ausdruck kommt – wenn er auf das Wahre und Gute schaut. Die Liebe zum Guten und zur Wahrheit ist jedoch keine Selbstverständlichkeit; damit sie sich entwickeln kann, muss der Funke der Liebe in der Seele schon in allerfrühester Kindheit und dann immer wieder neu und anders entzündet und genährt werden.

Der erste Funke, der in der Seele entzündet wird, ist die Elternliebe. Wer, wie Tom Riddle-Voldemort, nichts davon auf seinen Lebensweg mitbekommen hat, kann nur unter sehr erschwerten Bedingungen etwas von ihrem Wesen erfahren; oft tritt dann an ihrer Statt im ohne Liebe empfangenen und aufgewachsenen Kind der Hass auf die Eltern oder wenigstens auf einen Elternteil auf, von dem Tom Riddle getrieben ist. Im Unterschied zu Voldemort hat Harry Potter, der in ähnlich lieblosen Verhältnissen wie dieser seine Kindheit verbracht hat, wenigstens in seinem ersten Lebensjahr eine Elternliebe erfahren, die so groß war, dass sich seine Mutter für ihn opferte.

Ein zweiter Funke der Liebe entzündet sich in der Seele durch die Begegnung mit den eigenen Geschwistern oder mit Freunden. Geschwister- und Freundesliebe geben dem heranwachsenden Menschen das Gefühl, nicht allein in der Welt zu stehen. Harry hat zwar, wie Voldemort, keine Geschwister und steht wie dieser allein in der Welt; im Unterschied zu ihm hat er aber das Glück, im Alter von elf Jahren seinen Freunden Ron und Hermine zu begegnen und so das Gefühl der Einsamkeit zu verlieren, unter dem er bei seiner Pflegefamilie Dursley im Ligusterweg zu leiden hatte. Wie Harry hatte auch Tom Riddle in seiner Kindheit keine Freunde; im Unterschied zu ihm sucht er sie jedoch auch später nicht, sondern zieht es vor, allein und unbeobachtet seine immer dunkleren Wege zu gehen. Beziehungen zu Anderen kann er sich nur als deren Unterwerfung und vollständige Abhängigkeit von ihm vorstellen.

Ein dritter Funke der Liebe kann sich in der Seele entzünden, wenn der Mensch auf Ältere trifft, deren Seelenqualitäten so sind, dass sie ihn wertschätzen und er sie bewundern kann, wie dies insbesondere in der Verehrung zu einem geliebten Lehrer zum Ausdruck kommt. Beide: Tom Riddle-Voldemort und Harry sind in ihrer Jugend dem verehrungswürdigen Dumbledore begegnet; dieser aber schätzt zwar Riddles magische Begabung, nicht aber seinen Charakter, weil Tom die Liebe fehlt. Anders ist es bei Harry, der die Liebe, die Fürsorge und den Schutz Dumbledores besitzt, weil er selbst die Liebe in sich trägt.

Ein vierter – der vielleicht wichtigste und entscheidende – Funke entzündet sich in der Seele, wenn der Mensch das Glück hat, seinem Partner zu begegnen, in der Liebe zweier Liebenden. Die Suche nach dem richtigen Partner – nach der Schwesterseele – kann durch viele Irrungen und Wirrungen, durch Eifersucht und verletzte Eitelkeit führen, wie es Harry und seinen Freunden ergeht, bis sie endlich ihre wahren Partner gefunden haben. Finden Geschwisterseelen in der Liebe zusammen, so zeigt sich dies oft in einem erhabenen Glückgefühl, einer Intensität und Belebung des Seelenlebens, das die Betreffenden alles umarmen und ihn oder sie „wie auf Wolken gehen“ lässt und alles in der Umgebung leicht macht. In diesem Glück, dieser Leichtigkeit, mit der alles zu gelingen und alles im Einklang zu sein scheint, zeigen sich die Strahlen des Lebensgeistes, der Buddhi in der menschlichen Seele. Diese belebende Wirkung und Leichtigkeit bewirkt auch der Zaubertrank Felix Felicis, in dem viel Lebensgeist enthalten ist.

Voldemort aber hat nie nach einer Schwesterseele gesucht; er kennt die belebende, erheiternde und Freude verströmende Wirkung des Lebensgeistes oder der Buddhi nicht. Zwar lebt auch er eine Abart der Liebe: die Wertschätzung für besondere Gegenstände, dies aber nur, weil er sie, die in den Augen Anderer großen Wert besitzen, sich als Trophäen anzueignen trachtet, wobei er bereit ist, über Leichen zu gehen.

Das Leben mit dem geöffneten oberen Auge, welches ein Leben in der Liebe ist, verändert den Lebens- oder Ätherleib des Menschen, von dem schon in Tor zwei die Rede war. Denn je mehr die Kräfte des ewigen Wahren und Guten, die das Gewand der Liebe bilden, das Leben eines Menschen prägen, je mehr an Ewigkeit prägt sich auch dem Ätherleib ein und verwandelt ihn so, dass er, statt Träger und Organisation eines zeitlich begrenzten Lebens, nun zur Liebesorganisation, d.h. zum Träger von ewigem Leben wird. So ist der in diesem Sinne umgewandelte Ätherleib nichts anderes als der Lebensgeist oder die Buddhi selbst.

Die Fülle der Liebe oder die reine Buddhiwesenheit, welche Unsterblichkeit und ewiges Leben verleiht, äußert sich siebenfältig. Voldemort weiß um diese magische Kraft der Siebenzahl; er kann sie aber nur vor dem Hintergrund seines eigenen Magie- und Lebensverständnisses sehen. Auf seiner Suche nach dem, was er für Unsterblichkeit hält – was jedoch in Wahrheit Todlosigkeit ist – stößt er auf die Idee der Horkruxe. Diese werden gebildet, wenn der Schwarzmagier sein eigenes Seelenleben in zwei oder mehrere Teile spaltet, wobei für das Gelingen jeder Spaltung ein Mord notwendig ist. Man kann diesen Vorgang wie folgt erklären: Durch ihre Taten hinterlässt die Seele Abdrücke im Lebens- oder Ätherleib. der, wie bereits erwähnt, auch ein Gedächtnis- oder Erinnerungsleib ist. Schaut nun ein Mensch ausschließlich mit seinem unteren Auge auf das Böse und richtet sein Leben danach ein, so verhärtet sich sein Ätherleib; er wird immer dichter. Voldemort hat in Erfahrung gebracht, dass Mord das Mittel ist, einen Teil des Ätherleibes so dicht und fest zu machen, dass er der im Ätherleib veranlagten Auflösung nach dem Tode widersteht; dieser Anteil am Ätherleib, welcher den Abdruck der den Mord begehenden Seele „verewigt“,  ist „todfest“ geworden. Und dieser abgespaltenen Seelenteil ist es, den der dunkle Lord in einen bestimmten Gegenstand bannt und, mit einem Zauberbann umgeben, vor den Augen und dem Zugriff anderer verbirgt. Der in den Horkrux gebannte Seelenanteil, der auf der Erde magisch festgehalten wird, ermöglicht so dem schwarzen Magier ein allerdings vegetierendes Überleben auf Erden, auch wenn er seinen physischen Leib verliert.

Durch das Eintauchen in die Erinnerungen von Menschen, die Tom Riddle/Voldemort zu desssen verschiedenen Lebzeiten begegnet sind, erkennen Dumbledore und Harry, dass der dunkle Lord in der Tat sieben Horkruxe geschaffen hat. Um ihn endgültig und für immer zu besiegen, müssen diese sieben Horkruxe vernichtet werden, die in ihrer Gesamtheit das Gegenbild zum wahren Lebensgeist – die Gegen-Buddhi – bilden. Drei Horkruxe sind bereits vernichtet. Der Verbleib der vier anderen muss erst noch aufgespürt werden.

Auf der sechsten, der Buddhi-Stufe muss Harry lernen, dass die Liebe verschiedene Gewänder trägt. Hierzu gehört auch die Erkenntnis, dass es dieselbe Liebe sein kann, die auch das untere, in die Mysterien des Bösen blickende Auge geöffnet und am Leben erhält. Da kann, was zunächst als verwerflich und böse erscheint, in Wirklichkeit Ausdruck einer höheren Liebe sein. Repräsentant dieser in der Welt des Bösen verborgenen Liebe ist der „Halbblut-Prinz“, dessen Notizen und Anweisungen Harry in einem Lehrbuch für Fortgeschrittene zum Brauen von Zaubertränken findet und sie anwenden und bewundern lernt. Hinter dem von Harry verehrten Prinzen jedoch verbirgt sich, wie Harry erst viel später erfährt, niemand anderes als der verhasste Professor und Aufseher von Slytherin, Severus Snape, der in Harrys Alter in Hogwarts das Zauberbuch mit Anmerkungen versehen hat. Am Ende des durch das sechste Tor führenden Weges tötet dieser Snape Albus Dumbledore im Beisein des unter seinem Tarnumhang verborgenen Harry durch den Avada Kedavra-Fluch – für Harry die abscheulichste aller Taten, deren Zeuge er werden musste, denn durch Dumbledore hat er die Liebe erfahren, auf die er im Hause der Dursleys so lange hatte verzichten müssen. Erst viel später auf seiner Suche nach den verbliebenen Horkruxen dämmert Harry die Erkenntnis, dass Snape bei seinen Taten in Hogwarts und auch bei der Tötung Dumbledors von ganz anderen Motiven geleitet wurde. Hierzu aber muss Harry Potter erst durch das siebente Tor gehen.

Das siebte Tor: Das Königreich von Atma oder dem Geistesmenschen – „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“

In dem Maße, wie der Mensch es vermag, sein Leben von einem „höheren Standpunkt“ – dem seines „höheren Ich“ – aus zu gestalten, kann in ihm ein „höherer Mensch“ Gestalt annehmen. Der Mensch besitzt dann außer seinem sichtbaren physischen Leib, in dem sein „niederes Ich“ zu Hause ist, noch eine Art unsichtbaren geistigen Leibes, in dem sein höheres Ich „wohnt“, und der es in der geistigen Welt individuell und unverwechselbar macht, so wie der physische Leib ihn als diese eine unverwechselbare Persönlichkeit erscheinen lässt. Während aber der physische Leib sterblich ist und der Mensch mit ihm in den Tod geht, ist der „geistliche Leib“ unsterblich; der Mensch geht mit ihm in die Ewigkeit und Unsterblichkeit ein, weil dieser Leib im Grunde aus nichts anderem besteht als aus all jenen Taten, die der Mensch von der Warte seines höhren, auf die Mysterien des Ewig-Wahren und Ewig-Guten blickenden Auges aus vollbracht hat. Sein „geistlicher Leib“ ist gleichsam vollendeter Ausdruck seines höheren Menschen der Liebe und stellt so das vollkommene Werkzeug seines Handelns dar.

Ein „Mensch der Liebe“ im hier gemeinten Sinne verfügt über drei Wesensmerkmale: Erstens kann er sich materialisieren und dematerialisieren, also unsichtbar werden. Zweitens unterscheidet er sich in diesem Leib von anderen Wesenheiten, die ebenfalls in der höheren, geistigen Welt beheimatet sind, und vermag es so, Gestorbenen zu begegnen wie diese ihm. Dies trifft insbesondere auf geliebte Verstorbene zu, die ja ihren physischen Leib abgelegt haben und nun in der unsichtbaren Kraftgestalt leben, die den mineralischen Leib während ihres Lebens geformt und organisiert hat. Drittens steht ihm in seinem unsichtbaren Leib ein Werkzeug zur Verfügung, das vollendeter Ausdruck seines Wollens und Handelns ist, also seinem Willen ungehinderte Macht verleiht und somit das Ziel aller magischen Bestrebungen darstellt.

Im siebten Harry-Potter-Buch werden diese drei Wesensmerkmale in den drei Heiligtümern des Todes symbolisiert: dem Tarnumhang, den Dumbledore Harry schon im ersten Schuljahr vermacht hat und der es Harry und seinen Freunden ermöglicht, in einem unsichtbaren Leib zu handeln; dem Stein der Auferstehung, der die geliebten Gestorbenen sichtbar macht, so dass Harry zu Lebzeiten eine Begegnung mit ihnen möglich wird; und dem Elderstab – einem Zauberstab, der die größtmöglichen magischen Kräfte besitzt und das letzte Ziel aller Magie ist: die vollkommene Macht.

Dass es sich bei diesen Heiligtümern tatsächlich um Werkzeuge handelt, die die Region jenseits des physischen Todes erschließen bzw. offenbaren, geht aus einer der Geschichten von Beedle dem Barden hervor – einem kleinen Buch, das Dumbledore Hermine testamentarisch übereignet hat. Die im Buch mitgeteilte Geschichte erzählt von drei Brüdern, die den Tod überlistet haben, so dass er jedem von ihnen einen Wunsch erfüllen muss. Um dem Tod zu entgehen, wünscht jeder der drei eines von den Heiligtümern des Todes.

Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem geistlichen Leib des höheren Menschen – der in der Theosophie als Atma oder, von Rudolf Steiners in seiner Theosophie, als Geistesmensch bezeichnet wird – und jenem formenden Organismus von Kräften, welche zu Lebzeiten den physischen Leib strukturieren und ihm sein Gepräge geben, denn in beiden Fällen handelt es sich um Willenskräfte. Je mehr der Wille eines Menschen – und damit sein Handeln – davon geleitet wird, was er mit seinem oberen Auge – dem des höheren Menschen in ihm – erblickt,  umso mehr von der Substanz des Guten oder der Liebe prägt sich der Willensgestalt ein, die den physischen Leib zusammenhält und organisiert. Mit anderen Worten: Je mehr Handlungen des „unteren Menschen“ Ausdruck der Wahrnehmungen des „oberen Menschen“ sind, d.h. je mehr er vom höheren Ich geleitet wird, umso mehr nähert sich die Kraftgestalt seines physischen Leibes seinem geistlichen Leib an, denn genau diese Leitung durch das höhere Ich ist es, die den unsichtbaren geistigen Leib des höheren Menschen kennzeichnet. Physischer Leib und geistlicher Leib werden also eins, d.h. der untere, physische Leib erscheint dann umgewandelt in Atma oder den Geistesmenschen.

Harry Potter, in dessen Lebensweg die Spur der Liebe offenbar wird, weil er in entscheidenden Momenten seines Lebens dem Bösen widersteht und für das Gute auch sein eigenes Leben zu opfern bereit ist, verfügt schon über einen physischen Leib, in dem sich etwas vom Geistesmenschen offenbaren kann: Er ist darum der rechtmäßige Besitzer jenes Tarnumhanges, der ihn nicht mittels niederer Magie nur für einige Augenblicke, sondern immer unsichtbar machen kann, weil er eines der drei Heiligtümer des Todes ist. Außerdem hat ihm Dumbledore, verborgen im ersten goldenen Schnatz, den Harry im Quiddtch-Spiel gefangen hat, den Stein der Unsterblichkeit vererbt, der all die geliebten Gestorbenen, mit denen Harry sich verbunden fühlt, gerade in dem Augenblick seines Lebens gegenwärtig zu machen vermag und sie ihm Trost spenden lässt, als es für ihn, der sich freiwillig opfert, ans Sterben geht. Und nachdem Harry sich selbst geopfert hat und kampflos vom Avada Kedavra-Fluch Voldemorts getroffen wurde, gelangt auch der Elderstab in seine Hände. Harry nämlich erwacht nach seinem Opfer in King’s Cross, wo er von Dumbledore vor die Wahl gestellt wird, weiterzureisen zu den Bleibstätten der Toten oder auf die Erde zurückzukehren, um das Böse zu besiegen. An diesem Ort wird auch offenbar, dass Voldemort, der nur mit dem unteren Auge schaut und physische Todlosigkeit für Unsterblichkeit hält, keinen geistlichen Leib im Sinne von Atma besitzt. An dessen Stelle erscheint ein bejammernswert kleines Häuflein Elend, dem niemand helfen kann – so lange nicht, wie er nicht bereut.

Harry entscheidet sich zu kämpfen. Er kehrt zurück in seinen physischen Leib und tritt Voldemort noch einmal gegenüber. Der schwarze Magier, der sich den Elderstab widerrechtlich angeeignet hat, indem er Dumbledores Grab schändete und dem Aufgebahrten den mit ihm beerdigten Stab entwendete, hat einen kleinen, entscheidenden Fehler in seinem Plan gemacht: Er hat das Wesen des von ihm gestohlenen Zauberstabes nicht verstanden. Der Stab der höchsten Magie nämlich, der Elderstab, sucht sich seinen Meister; wird er durch Diebstahl und Mord entwendet, so bringt er seinem Besitzer Unheil und Verderben. So fällt der von Voldemort gegen Harry ausgestoßene Fluch Avada Kedavra auf ihn selbst zurück und vernichtet ihn. Meister der höchsten Magie ist, wer erkennt, dass diese Magie die reine Kraft der Liebe ist, die keinen Zauberstab mehr benötigt, weswegen Harry ihn nach der Vernichtung Voldemorts an einem unerreichbaren Ort ablegt.

Wer in das Gebiet von Atma eintritt, kommt zugleich in das Gebiet der höchsten Erkenntnis, der Intuition. Sie besteht darin, dass Erkennender und Erkanntes  eins werden. Dies wird im siebten Buch dadurch angedeutet, dass Harry – in dem seit Voldemorts erstem Angriff auf ihn in seiner frühen Kindheit ein abgespaltener Teil von dessen Seele lebt – Voldemorts Taten über weite Entfernungen hinweg miterleben kann, und dies so, als wäre Harry selbst der Täter. Da aber die Intuition reine Liebeserkenntnis ist, bleibt Harrys oberes Auge bei seinem intutiven Miterleben mit dem Bösen stets geöffnet. Die Narbe in der Mitte seiner Stirn über seinen „unteren“ Augen schmerzt und brennt, so dass er nie wirklich in Gefahr ist, die Orientierung zu verlieren und dem Bösen, mit dem er in der Erkenntnis eins ist, anheim zu fallen. Am Ende wird darum doch noch alles gut.

Nachwort – Eine Legende

Als am Ende des Jahrhunderts die Finsternis auf Erden so zugenommen hatte, dass selbst die Kräfte der Elemente ins Wanken gerieten und die Menschheit in ihr zu versinken drohte, fand sich in jenem Gebiet, das der Lärm der Erde niemals zu erreichen vermag, der Rat der Zwölfe zusammen. Sie, die zu den älteren Brüdern der Menschen gehören, sahen mit Sorge, dass die Mächte der Dunkelheit ihr Netz um die Erde so dicht gewoben hatten, dass es ihrem abtrünnigen dunklen Bruder ein Leichtes schien, auch noch die letzten Schritte zu tun und selbst unter den Menschen auf Erden aufzutreten.

Da erhob Einer aus ihrer Mitte seine Stimme: „War es also falsch, dass wir zustimmten und sogar dazu beitrugen, dass die Menschen immer mehr ihr Auge, mit dem sie uns und die Sphären, in denen wir uns aufhalten, zu erblicken vermögen, verschlossen, bis sie für uns blind wurden?“

„Das glaube ich nicht, Bruder!” wandte ein in rote Gewänder Gehüllter ein, hinter dem sich das Tor des Westens befand. „Du sprichst von jenem kritischen Jahr 1260, als für einige Zeit der Ausblick in unsere Regionen verstellt war. Aber haben wir den Menschen, die von da an auf sich gestellt waren und den Aufenthalt in jener Verdunkelung aus eigener Kraft zu lernen hatten, nicht Legenden und Märchen mit auf den Weg gegeben, in denen das erhabene Wissen von den sieben Gliedern des menschlichen Wesens und den höheren Sphären hinter der sichtbaren Natur in Bildern geborgen war, welche die Herzen der Kinder entflammten und den Menschen Schutz gaben?“

„Recht sprichst Du!“ sagte ein anderer vom östlichen Flügel. „Aber wurde nicht dennoch dasjenige immer mächtiger, was die Menschen als ‚Aufklärung‘ bezeichneten und das doch vor allem dem Zweck diente, die Kunde von unserer Welt und von den höheren Sphären über uns als Ammenmärchen und ausgedachte Legenden bloßzustellen, während ihr irdischer Verstand sich in immer weitere Gebiete vorwagte und eine Enzyklopädie allen verfügbaren materiellen Wissens entwarf?“

„Wahr ist, was du sagst, Bruder!“ sagte ein Dritter. „Aber deshalb hatte unser Bruder im Westen ja auch jene Organisationen gegründet, die das alte Wissen in verschlüsselten Schriften aufbewahrten, um es an die weiterzugeben, die sich ihrer als würdig erwiesen.“ –

„Das mag sein“, sprach eine erhabene Gestalt aus dem Norden. „Aber bedenkt doch, wie wenige damit wirklich erreicht wurden und zu welchen Rivalitäten und Kämpfen die Geheimhaltung des Wissens führte, ganz zu schweigen von der Verketzerung, die unsere zerstrittenen Bruderschaften zu erleiden hatten…“

„…während das irdische Wissen und die Intellektualität der Menschen immer weiter fortschritten und auch die Bastionen der Kirchen überrannten, in denen die Kunde von uns bewahrt blieb…“ ergänzte ein Anderer.

„…und die Menschen, nachdem sie die Erde verließen, ihre leblosen Gedanken hinauf in unsere Regionen trugen und sie immer mehr verfinsterten, bis das von uns gehütete erhabene Urbild der Menschheit alle Macht und Kraft verlor und in eine tiefe Ohnmacht verfiel!“ sprach ein Dritter.

„Aber bedenket doch,“ ergriff der Rotgewandete aus dem Westen wieder das Wort, „wie die erhabenen mächtigen Geister über uns jene finsteren Gestalten aus unseren Regionen vertrieben und zurück auf die Erde warfen, so dass der Ausblick für jede Seele, die zu uns kommt, wieder frei ist.“

„Aber welch Preis musste dafür bezahlt werden! Sind nicht die Geister der Finsternis wieder zurück auf der Erde, wo sie seitdem nur noch mehr den Blick der Menschen schwärzen?“

„Dennoch haben wir sie nicht allein gelassen, und sie durch Erzeugung von Phänomenen, die sie nicht erklären konnten, an ihre eigentliche Herkunft erinnert…“ sprach einer in der Nähe des westlichen Tores.

„Du meinst den Spiritismus?“ fragte ein Anderer.  „Verzeih, Bruder, haben wir uns mit diesem Spuk für die Leicht- und Abergläubigen nicht gründlich lächerlich gemacht und sie dem Spott der voranschreitenden Wissenschaften ausgeliefert?“

Eine neue Stimme ertönte vom östlichen Flügel: „Dann aber fanden wir einen Weg und eine geeignete Persönlichkeit, der wir unsere Weisheit so tief inspirieren konnten, dass vor ihren physischen Augen sogar von unserer geistigen Hand verfasste Briefe erschienen.“

„Du sprichst wohl Recht“, sagte der Rotwgewandete. „Selbst wir Brüder des Westens vermochten es, sie zur Entschleierung mancher der Geheimnisse der Isis zu führen, die dann von vielen durstenden Seelen auf der Erde begierig aufgenommen wurde. Aber hat sich der näher kommene dunkle Bruder nicht als mächtiger erwiesen? Streute er nicht Zwietracht in die von unserem Medium gegründete Gemeinschaft und vermochte er nicht zeitweise sogar, es selbst zu täuschen und an sich zu fesseln? – So blieb diese Gesellschaft ohne die von uns erhoffte Wirkung in der Welt.“

„Dann aber schickten wir einen unserer begabtesten Brüder selbst auf den Weg“, sprach ein in tiefes Blau Gekleideter direkt neben ihm. „Mit dem Auftrag, unser Wissen in die irdischen Wissenschaften zu tragen und damit alles in der Kultur zu verwandeln.“

„…Was auch im Ansatz gelang,“ fuhr der Rotgekleidete fort, „so dass wir mit ihm die Hoffnung hegten, dass in unserer Zeit – jetzt, da sich das Ende des Jahrhunderts nähert – viele Millionen von Seelen das neue Licht sehen und sich ihm anschließen würden…“

„Aber wurde nicht auch diese Hoffnung getäuscht?“ warf der aus dem Osten ein. „Wurden nicht Streit, Intellektualismus und Materialismus auch in die von ihm gegründete Bewegung getragen? Hat nicht der dunkle Lord auch dort sich Entritt zu verschaffen gewusst?“

Lange schwiegen die Brüder.

Dann erhob sich eine Gestalt im Süden und sprach: „Ihr Brüder, lasst uns dem Grunde nachgehen, warum alle unsere Initiativen nicht zu dem führten, was wir uns von ihnen versprochen hatten!“

„Was meinst du?“ fragten sie.

„Seht doch: Wir haben die Menschen auf Erden in ihren verschiedensten Lebensaltern zu erreichen versucht. Wir gaben den Kindern Märchen, um die Erinnerung an uns wach zu halten. Wir inspirierten die Religionen, die vor allem für die Älteren die Kunde von uns in ihren verschiedensten Gestalten aufbewahren. Wir haben Boten gesandt, welche die irdischen Wissenschaften durchlichten und verwandeln sollten und wandten uns so an die Erwachsenen. Den Älteren schenkten wir Bücher der Weisheit. Eine Gruppe jedoch haben wir bisher außer Acht gelassen – jene, die den Angriffen des dunklen Lords am heftigsten ausgesetzt und ihm nahezu wehrlos ausgeliefert ist. Ich meine die Elf- bis Achtzehnjährigen! Besuchen sie nicht Schulen, in denen ihnen jenes Wissen beigebracht wird, das unsere Sphären verdunkelt? Werden sie nicht mit raffiniertesten Erfindungen so lange von uns abgelenkt, bis sie an die Allmacht ihrer Denkmaschinen glauben und für uns und die Sphären über uns nur noch Skepsis, Zweifel, Spott oder bestenfalls Resignation übrig haben? Wird nicht gerade in ihrem Alter das Bewusstsein so machtvoll verzaubert, dass sie uns vergessen, jegliche Sphären oberhalb ihrer physischen Welt leugnen und, wenn sie als Erwachsene später unserem Wissen begegnen, nur noch in Ausnahmen es für wahr halten und ihm in ihrer Seele den rechten Empfang bereiten können?“

Im Raume verbreitete sich große Zustimmung. Dann sprach der Rotgekleidete: „Ihr lieben Brüder, lasst uns einen Boten finden, der diese Gruppe erreichen kann, der so starke Kräfte besitzt, dass er der Verzauberung durch den dunklen Lord standzuhalten und den Bann, den er über alles legt, zu brechen vermag. Der die Menschen an ihre siebengliedrige Wesenheit erinnert, aber nicht mit Begriffen und leblosen Lehren, sondern in Erlebnissen und Taten! Der liebernswert und voller Leben ist und seine Generation in eine andere Schule zu führen vermag, in der sie die Abwehr gegen den siebenfältigen Angriff des Bösen in mächtigen Bildern erlernen können – Bilder, die sich tief in ihre Seelen einprägen, Bilder, die in ihrem Bewusstsein aufleuchten, wenn sie Hilfe benötigen in den finsteren Tagen, die anbrechen werden mit dem Auftreten des dunklen Lord.“

„So sei es!“ sprachen die Zwölfe zusammen.

„Und diese Gestalt soll ihr Altersgenosse sein!“ ergänzte der Blaugewandete. „Und auftreten soll er in jenen westlichen Regionen der Erde und jene Sprache sprechen, in denen der dunkle Lord die letzten Schritte seines Kommens vorbereitet!“

Nicht lange danach tauchte im Kopf einer jungen angehenden Lehrerin, die auf der Wohnungssuche im Zug von Manchester nach London fuhr, ein junger Zauberer auf, „einfach so“ und zunächst „nur als Idee“…

 

(Dieser Artikel erschienin der Dezemberausgabe 2008 der englischen Zeitschrift “New View“)

Kommentare

Hat auch am Vorabend zur Wintersonnenwende des 21. Dezember 2012 n. Chr seine Besonderheit mit
Sicherheit für mich bestätigt.
“ Wo sind wir?, und wenn ja ,wo nicht? “
“ einfach so,und zunächst als Idee “
Ich denke ein sehr gelungener Beitrag , zeitaktuell,
zur Beseitigung umsichgreifender Daseinsorientierungslosigkeit in allen Bereichen und auf allen Ebenen.
Glaube , Liebe ,Hoffnung. Der dunkle Lord und seine Finsternis sind nur der Pausenfüller mit Zeitvertrag
in der Erinnerungslücke. “ Danke , danke einfach so.“

Danke für diesen tolle Interpretation!

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