14.01.2012

Weltbild und Bildwelt – Anselm Spring im Gespräch

Anselm Spring wurde am 10. März 1943 in Landsberg am Lech geboren. Bekannt wurde er insbesondere als Fotograf, der für alle namhaften Zeitschriften Deutschlands arbeitet. Über 70 Bücher zu den verschiedensten Themen sind von ihm erschienen. Heute widmet er sich dem Gesamtkunstwerk Leben, das für ihn persönlich im Südwesten der USA – in Boulder, Utah – Gestalt annimmt, wo er seit einigen Jahren lebt. Man kann Anselm Spring erreichen unter: email: springhill@cosmicplayer.de bzw. www.cosmicplayer.de

Anselm, Weimar und Landsberg am Lech, diese beiden Städte haben für Dein Leben eine wichtige Rolle gespielt…

Die ersten neun Monate meines Lebens habe ich bis fast auf den letzten Tag in Weimar verbracht. Dann musste meine Mutter, die dort Kunst studierte, nach Landsberg am Lech zurückkehren. Es wurde eine aufregende Eisenbahnfahrt im 2.Weltkrieg. Kaum in Landsberg angekommen, verbrachten wir die Nacht – ich noch verborgen und geborgen im Mutterschoß – im Keller, da die Amerikaner Luftangriffe gegen München flogen. In Landsberg fielen zwar keine Bomben, aber dennoch bebte die Erde. Am nächsten Tag dann endlich erblickte ich das Licht der Welt… fünf Minuten vor Zwölf.

Die Zeit, die ich in Weimar verbrachte, hat ganz sicher meine deutsche Identität mitgeprägt. Warum sollte der genius praenatalis eines Ungeborenen nicht die Gegenwart des genius loci eines Ortes wahrnehmen können. Landsberg, meine Heimatstadt, habe ich so gut und so oft wie nur möglich gemieden, denn in dieser Stadt wurde eine Speerspitze des Bösen geschmiedet, als Hitler dort Mein Kampf niederschrieb. Nicht so Weimar. Die Freundschaft zwischen dem Realisten Goethe und dem Idealisten Schiller gehört zu den Glanzlichtern deutscher „Leitkultur“.

Der vorgeburtliche Weg hat dich also mehr vom Licht in die Dunkelheit geführt. Drückt sich da etwas Archetypisches für dein Leben aus?

Als Fotograf lebe ich von Licht und Schatten. Mein Bewusstsein für das Zusammenspiel der Gegensätze wurde vielleicht durch ein erstes Erlebnis, an das ich mich erinnern kann, ins Leben gerufen: Ich war gerade mal zwei Jahre alt, der Krieg war an seinem Ende. Wir hielten uns im Keller auf, da in Landsberg ein letztes Mal Kriegstätigkeit aufflammte. Die Amerikaner hatten die Stadt bereits besetzt. Mein Großvater ging zur Kellertür, die in den Garten hinausführte. Ich bin ihm, ohne dass er es merkte, gefolgt. Im Kellergang war es stockdunkel. Als er die Tür öffnete, schoss blendende Helligkeit in meine in der Dunkelheit weitgeöffneten Augen. In diese Lichtexplosion stürzte mit vorgehaltener Waffe ein junger GI. Wir erfuhren später, dass dieser kurz zuvor einen jungen, deutschen Soldaten angeschossen hatte, der dann in unseren Garten lief, wo er schließlich von dem Amerikaner erschossen wurde. Der führertreue, kaum 18 Jahre alte Deutsche, in Landsberg an der Warthe geboren, starb in Landsberg am Lech.

In unserem Haus wurden später US-Soldaten einquartiert. Ich wurde schnell Freund mit ihnen, brachten sie doch neben dem Kriegsende die Gaben der Neuen Welt: Musik, Sweets und Schokolade. Ich wurde dick – sie nannten mich Fat Boy.

Ein anderes Lichterlebnis widerfuhr mir in den ersten Wochen meiner Schulzeit, als ich noch begeistert in die Schule ging. Diesmal ging es um mein Augenlicht. Gerade wollte ich mit gepacktem Schulranzen losmarschieren, da konnte ich nicht mehr sehen. Verzweifelt habe ich mich auf die Spielsachenbank in der Essküche gelegt und fing von ganzem Herzen und ganzer Schuljungen-Seele zu beten an: Lieber Vater im Himmel, ich geh’ doch so gerne in die Schule. Ich mache jetzt die Augen zu und wenn ich das Vaterunser gesagt habe, mach’ ich sie beim Amen wieder auf und kann wieder sehen. Vaterunser… Amen. So getan, so gescheh’n. Die Blindheit war weg – ich ging glücklich zur Schule. Doch etwas war anders: Meine schulische Begeisterung war wie weggeblasen und, was ich künftig sowieso mit nur einem Ohr hörte, ging sogleich zum anderen wieder hinaus. Gott sei es gedankt, denn ich blieb weitgehend „unbefleckt“ von weltlichem Wissen.

Sieben Jahre später hatte ich ein weiteres, heißes Erlebnis im Licht einer Adventskerze. Es geschah im schwarzbayrischen Hohenfurch im Pfaffenwinkel bei Schongau. Direkt unterhalb der Kirche in einem kleinen Bauernhof lebten meine beiden Tanten, die Schwestern Rosina und Viktoria. Religion war hier süß: Ostereier zu Ostern, Weihnachtsstollen zur Weihnacht. Rosi und Vicki glaubten, ich wäre zum Pfarrer bestimmt. Plätzchen mampfend, stand ich in der guten Stube vor der moosig-kuscheligen Geburtsstube des Herrn Jesus, dem allerheiligsten Kripperl. Ein wenig blass, bienenwachsgelb wie ein Zuckerkranker lag das Gottessöhnlein da. Plötzlich, obwohl ich nichts gegen ihn und die katholische Tradition der Adventszeit hatte, fuhr eine Art göttlicher Zorn in mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Schau, das Christkindl, nimm’ es und schmilz es…

Ich habe mir unverzüglich aus der Schublade des Wohnzimmertisches den größten Blechlöffel geholt, das wächserne Jesuskind hineingelegt, Löffel und Kindlein über eine Adventskerze gehalten; es war aufregend, das Jesuskindlein in seiner eigenen Substanz versinken zu sehen. Es war ein Skandal. Hinsichtlich der von den Tanten avisierten Pfarrerskarriere hatte ich nun meinen Frieden – einen Frieden, den die Welt nicht kennt.

Von nun an kämpfte ich gegen Religion, zunächst nur im Religionsunterricht gegen meine Religionslehrer, die mir dafür stets eine Eins gegeben haben. Die handelten echt christlich… Im Alter von sechzehn Jahren sagte ich mich innerlich von der katholischen Kirche los. Die Oberrealschule in Landsberg verließ ich ein Jahr vor dem Abitur. Da ich ein wenig Englisch konnte, lockte mich die Bundeswehr mit dem Versprechen, als Dolmetscher für zwei Jahre in die USA gehen zu können. Dem konnte ich nicht widerstehen, obwohl ich Musiker und Maler werden wollte. Der Ruf ins „Gelobte Land“ war dann doch stärker. Amerika war es letztlich, das mich zur Fotografie verführt hat. Sie hatte ich wegen der mit ihr verbundenen Technologie als künstlerisches Medium bis dahin vehement abgelehnt.

Was hat dich an der Technik erst gestört und dann doch so betört, dass du zu einem bekannten Fotografen geworden bist?

Das ist im Nachhinein schwer zu sagen. Vielleicht war es eine mir angeborene Scheu vor einer technisierten Welt. Vielleicht war ich auch nur zu faul, fotografieren zu erlernen. Ich weiß es nicht mehr. Allzustark war die Ablehnung wohl nicht und sie wurde völlig weggewischt, als ich in El Paso Suzanne kennenlernte. Ein kaum sechzehnjähriges Mäd­chen, blond mit blauen Augen und irrsinnig fotogen. Sie wurde später tatsächlich Miss American Photomodel. Fast jedes Bild, das ich von ihr machte, gelang. Fun, Fun, Fun… Fotografieren machte Spaß. Ich fuhr damals einen offenen, weißen Alfa Romeo Spider, Susan in den Ledersitzen, das Red Rooster – Drive in, Hamburger, Coke und Camel. Jesus! Das war eine unschuldige, wunderbare Zeit in Gods Own Country. Völlig überraschend veröffentlichte die damals größte amerikanische Fotozeitschrift Popular Photography eine kleine Geschichte über mich. Ich hatte nämlich die paar Erinnerungsbilder, die ich in der Zeit von El Paso geknipst hatte, über Kerzenlicht angeschmort und die Emulsion mit der Nagelschere zerkratzt. Meine so zerstörte Lichtbilderwelt gefiel mir; ich ließ die malträtierten Dias kopieren und schickte sie los. Mit Erfolg. Die Redakteure der Neuen Welt verhießen mir – typisch amerikanisch – eine großartige Karriere. Meine Welt war heil – and I was the greatest.

Bist du diesem Ruf gefolgt?

Ich habe jedenfalls nichts dagegen unternommen. Die Verheißung einer Karriere hat sich erfüllt, aber dennoch hat mich das zwiespältige Verhältnis zur Fotografie bis auf den heutigen Tag begleitet.

Wie so oft im Leben, sind es gerade die Dinge, die man nicht tun will, die sich als besonders segensreich erweisen. Ich muss gestehen, dass mir die Fotografie viel gegeben hat. Die ständige Auseinandersetzung mit der Bilderwelt hat letztlich auch mein Weltbild geprägt. Heute, da die digitale Welt des Lichtbildes unaufhörlich perfekte Visionen für den Marktplatz der materiellen Illusionen zeugt, ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bild unerlässlich.

Du hast beim Fotografieren tiefgehende Augenblicke erfahren?

Klar. Aber eben nur Augenblicke von ein paar bis zu 1/8ooostel Sekunde.

Wie kommst du zum echten, wahren fotografischen Bild?

Vorbereitet sein, wach sein für den Augenblick, in dem die äußere und innere Wirklichkeit, das Subjektive und Objektive, zusammenfallen. Das ist allerdings ein wesentlich komplexerer Vorgang, als es sich so einfach dahersagen lässt.

Wenn es soweit ist, woran merkst du das?

Begeisterung, ein fast unwiderstehlicher Drang, etwas fast Ekstatisches – ausgelöst durch den fotografischen Instinkt. Nichts kann einen dann bremsen, um das Bild zu machen. Du kommst da schnell zu jenem point of no return, der einen jenseits von Gut und Böse führt, wo es keine sittlichen, moralischen, physischen oder sonstigen Einschränkungen gibt. Wenngleich das „Machen“ eines Bildes völlig frei zu sein scheint, so unterliegt dessen Verwendung und vor allen Dingen die Vermarktung eindeutigen sittlichen und rechtlichen Grenzen.

Wenn du eine Landschaft, ein Tier, einen Menschen oder was auch immer fotografierst, hat man das Gefühl, dass es dir immer wieder gelingt, den Augenblick zu treffen, wo sich deren Wesen am eindrücklichsten zeigt.

Das hängt eigentlich alleine von dem Licht ab, in dem man ein Motiv sieht. Licht auch im übertragenen Sinne. Natürlich auch vom Standpunkt, vom Blickwinkel und vom richtigen Augenblick einer Handlung. All die fotografischen Elemente müssen zum Besten zusammenspielen.

Der richtige Augenblick hat keine Zeit. Er ist nur die Wahrnehmung gegenwärtiger Ewigkeit – natürlich als raum- und zeitbedingte Erfahrung. Ewigkeit und Zeitlichkeit sind untrennbar miteinander verbunden. Als Menschen erleben wir diesen ambivalenten Zustand des Seins getrennt. Wenn man diese Trennung überwindet, dann, so glaube ich, kann man das wahre Wesen einer Sache oder eines Sachverhalts wahrnehmen. Auch fotografisch. Wenn das, was ich sehe, identisch ist mit dem, was ich denke, und das, was ich denke frei von den Unschärfen menschlicher Wahrnehmung, dann ist das fotografische (Sinn-)Bild „wahr“ – auch wenn es einen Grünstich hat, denn der trägt dann letztlich nur zur Bildaussage bei.

Bilder, die aus dem „allgegenwärtigen Augenblick“ geboren werden, und damit etwas Ewiges, Archetypisches und wahrhaft Sinnbildliches offenbaren, sind allerdings sehr selten.

Und du spürst: Jetzt muss ich auf den Auslöser drücken?

Ja. Da passiert viel unterbewusst, aus dem Bauch heraus, intuitiv, getrieben vom fotografischen Instinkt und der Lust am Zusammenspiel von Objektivitität und subjektiver Wahrnehmung. Je länger ich mich im Medium Fotografie bewege, desto mehr fasziniert mich die Wirklichkeit der Dinge. Es ist fast unglaublich, wie reich die Realität an Wundern und dramatischen Zuspitzungen ist. Das muss man einfach zulassen, ohne manipulieren zu wollen. Die Wahrheit der Fotografie ist die unverstellte Schau der Wirklichkeit. Die Transformation der vielschichtigen Realität in ein zweidimensionales Bild ist keine Manipulation, sondern Kunst.

Akzeptanz des Wirklichen – was heißt das für dich?

Dinge so zu sehen, wie sie sind. Ohne konditionierte Sehweise, ohne Vorurteil und Erwartungen; das ist schon so etwas wie Meditation. Man könnte es auch Zen nennen. Für mich ist es pure sinnliche Wahrnehmung. Man ist offen und leer, um erfüllt zu werden. Diese Offenheit und Leere jedoch bedeutet nicht, dass man nicht wachsam und vorbereitet wäre. Es ist Handeln durch Nichthandeln – auch wenn dies ein wenig abgedroschen klingt…

Wie bereitest du dich vor?

Gar nicht. Ich lass’ mich spontan begeistern, kann mich allerdings auch konzentrieren, wenn es darauf ankommt. Dann wird alles eins: die Kamera, das Auge, das Motiv. Fotografieren habe ich nie erlernt. Von Rechts wegen darf ich mich auch gar nicht Fotograf nennen, obwohl ich als solcher anerkannt bin.

Keinerlei klassische, meditative Hilfen und Krücken?

Eigentlich nicht. Man kann zwar vieles lernen, sich disziplinieren und dadurch Großartiges vollbringen, aber ich möchte, christliches Gedankengut zitierend, einwenden, dass ohne Liebe alles nichts ist. Indes, wenn man diese Liebe erfährt, einem alles hinzugegeben wird. All you need is love… Wer liebt, kann sich ganz hingeben. Mit der Liebe kommt eine spielerische Sorglosigkeit, die einem hilft, das eigene Wesen und Talent völlig entfalten zu können.

Welche Rolle spielt Christus in deinem Leben und deiner Arbeit?

Grundsätzlich: Der traditionelle Christus spielt für mich nur als anstößiges Objekt eine Rolle. Er ist all das, was der Mensch nicht ist, aber sein möchte, und wird somit zur ultima ratio menschlicher Versuchung. Versprechen wie Welterlösung und einem darauf folgenden Leben im himmlischen Paradies gehören zu den Klassikern dieser Versuchung. Satan hebe dich von mir! Bullshit! Als historisch fast unbeschriebenes Blatt wurde er die ideale Projektionsfläche menschlicher Ideale und Utopien, die letztlich in Allmacht, Allwissen und Allgegenwart gipfeln. Da ein Christus, möglicherweise identisch mit einem Bodhisattva, über die Vielfalt des Wissens verfügt, mutierte der Kirchen-Christus in einer Metamorphose zum modernen Übermenschen. Die religiösen Dogmen, die seiner Verpuppung dienten, verstellen uns als leere, erstarrte Chitin-Panzer den Weg zum wahren und lebendigen Christus, in dem Ideal und Realität zusammenwirken. Der pure Idealist taugt ebensowenig wie der einhundertprozentige Realist. Der eine wird zum hoffnungslosen Träumer und Schwärmer, der andere zum Rationalisten und Utilitaristen. In meinem Christus-Bild verbindet sich der homo faber mit dem homo ludens zum cosmic player.

Und was macht der?

In meiner Welt tritt er an gegen den global player. Zurück zu Christus: Ein Mensch, der die Christusidee nicht verwerfen will, aber nicht an Jesus Christus als den alleinseligmachenden Vollstrecker seines Heils glauben kann, sollte sich nach vorne retten: Er muss selbst ein Christus sein wollen. Selbst ist der Mann, die Frau. Selbst ist der Christus. Die Erlösung aus der Knechtschaft durch Fremdbestimmung findet ein Mensch allein durch sein wahres Wesen, sein Selbst, das auf Selbsterkenntnis, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstverantwortung und Selbstachtung baut. Natürlich braucht er dabei Hilfe, ebenso wie ein Kind Hilfe braucht, wenn es das Gehen erlernt. Diese Hilfestellung aber hat nichts mit Globalerlösung durch einen Weltenheiland zu tun. Ich jedenfalls möchte nicht der Knecht eines Herrn Jesus Christus sein.

Der Begriff christlich ist nebulöses Niemandsland, in dessen Dunstkreis sich viele am Wesen Christi vergreifen. Ein wahrhaft (christlicher) Mensch ist für mich nicht jemand, der eine christliche Religion im Sinne bestehender Kirchen und Traditionen bekennt, sondern ein Mensch, der sich wider den Willen und die Versuchungen der Welt zu sich selbst, zu seinen Wurzeln und zu seiner ganz persönlichen Bestimmung bekennt. Er begreift sich als Teil des Ganzen und weiß, dass er diese Identität nur in der Gemeinschaft mit dem Ganzen ausleben kann. Individualität und Gemeinschaft schließen sich nicht aus. Ich habe als Persönlichkeit eine ganz konkrete Aufgabe an einem ganz bestimmten Platz auf unserer Erde und in unserer Gesellschaft. Diesem Ruf will ich folgen und lasse ihn mir nicht streitig machen. Mehr als das kann ich nicht tun, mehr kann ich nicht sein. Christus ist Lebendiger unter Lebenden; seine Liebe zum Leben umarmt alles Leben und bewahrt so dessen Würde. Einer, der von sich sagt, „Ich bin das Leben“ wird die Vielfalt des Lebens in Natur und Kultur achten und diese nicht bedrohen. Er weiß um seine Abhängigkeit vom „Rest der Welt“, wird aber versuchen, nicht zu Lasten oder auf Kosten anderer zu leben. Er wird, so gut er kann, nicht das Leben anderer nehmen, um sein Leben zu erhalten. Er wird insofern auch keinen Fresskrieg gegen die Tierwelt führen.

Ihm wird zum einen die eigene individuelle Entfaltung am Herzen liegen – zum anderen aber wird er eben dies all seinen Mitgeschöpfen zubilligen und sie darin fördern. Insofern dürfte sich die heutige Gesellschaft nicht christlich nennen, denn ihr Ziel ist weder die Entfaltung des individuellen, schöpferischen Menschen noch der Erhalt globaler Lebensbedingungen, sondern die Sicherung persönlicher oder nationaler Interessen, wirtschaftlicher, politischer und religiöser Machtpfründe.

Du gehst ja ganz schön ran. Warum?

Warum nicht? Ich habe erfahren, was es bedeutet, sich selbst sein zu können. Und das Gegenteil. Das möchte ich mitteilen. I want to share it with you – Ich möchte es mit dir teilen. Insbesondere meine authentischen Erfahrungen. Das was ich auf meiner Suche nach dem Christus wirklich erlebt habe – als sinnlich-sinnvolle Wahrnehmung.

Diese Suche wurde mir zunächst durch meine Mitgliedschaft in der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ (Mormonen) erschwert, denn die Zugehörigkeit zu einer institutionalisierten Religion widerspricht meinem Wesen ganz und gar. Irgendetwas und irgendwer trieb mich in der wilden Zeit als Mode- und Werbefotograf mit Blitz und Donner in die Arme dieser Kirche. Ich habe mich gefügt. Widerwillig. Die Mitgliedschaft in dieser amerikanischten aller amerikanischen Kirchen erwies sich in vielen Dingen als gut, ja fast lebensrettend, auch wenn sie mich in vielen Punkten frustrierte.

Warum?

Ich war auf dem Weg in eine gedopte High­speed-Gesellschaft. Sie hätte mich krankgemacht oder umgebracht. Die „Heiligen der Letzten Tage“ haben mit dem „Wort der Weisheit“ vernünftige Gesundheitsrichtlinien, die durch und durch der Lehre Buddhas entsprechen. Frustriert haben mich allerdings die religiös-dogmatischen Inhalte der unheimlichen patriarchalischen Art. Ich suchte den wahren und lebendigen Christus, nicht die amerikanische fastfood-Variante: Im Besuchszentrum der Kirche in Salt Lake City steht ein sündhaft teurer Marmor-Mormonenheiland. Auf Knopfdruck legt er vielsprachig Zeugnis von sich selbst ab.

Aber gerade dieser oberflächliche Hang und Drang der Amerikaner zu einer banalen Wirklichkeit hat mich inspiriert, „es“ wissen zu wollen. Ein Auftrag, in Israel zu fotografieren, führte zu einer denkwürdigen und erleuchtenden Begegnung mit dem Gesuchten.

Kannst du das schildern?

In den ersten Tagen dieser Fotoreise wurde meine Hoffnung Licht(-bilder) in Sachen Christi zu entdecken, enttäuscht. Daraufhin habe ich an Orten, die in meiner Vorstellung den Charakter Israels zur Zeit Jesu bewahrt hatten, ein sogenanntes mindgame begonnen, was sich am besten mit „Gedankenspielereien“ übersetzen lässt. Daraus entwickelte sich ein fiktiver Dialog, der sich allerdings nach ein paar Tagen zu verselbständigen schien, und in dessen Lauf mein imaginierter Dialogpartner plötzlich Dinge sagte, die mir unbekannt waren. Dazu kamen ein paar kleine prophetische Hinweise „seinerseits“, die meinerseits auch in meiner fotografischen Realität wahrnehmbar waren. Eine davon erfüllte sich als lebensgefährliche Erfahrung am Nordtor im alten Jerusalem. Das will ich aber jetzt nicht erzählen.

So geführt, bin ich bis zum See Genezareth gekommen. Es war ein wunderbarer Spätnachmittag voll goldenen, schweren Lichts, das im See zu versinken schien. Ich saß am Ufer, hinter mir die Golanhöhen, schließlich bin ich in den dort sehr seichten See gewatet. Meine Füße versanken in feuchtem, fruchtbaren Schlamm, ich war umspült von fühlbarem Licht und der Wärme des weichen Wassers. Ich war eins mit allem – ein wunderbares, alle Sinne ansprechendes, erotisches und unaussprechbares Erlebnis. Und doch war es nur das Vorspiel…

Wieder am Ufer sitzend, überfiel mich ein fast furchterregendes Gefühl, dass ich „es“ jetzt erleben würde. Ich nahm eine Stimme wahr – nicht nur mit den Ohren, sondern mit jeder Zelle meines Körpers: „Willst du wirklich wissen, wer ich bin?“

Die allesdurchdringende Gegenwart dieser Frage und die Gewissheit einer Antwort haben mich in einer ungewöhnlichen Weise sensibilisiert und wachgerüttelt. Werde ich ihn sehen, dem Auferstandenen begegnen, wird es pures Wissen durch Erkenntnis sein? – All diese Möglichkeiten rasten in Bruchteilen von Sekunden durch meinen Kopf und ergriffen auch mein Herz. Konnte ich es denn wissen, wollte ich es wirklich wissen? Ich war in meinem Leben oft mit Visionen, Halluzinationen, Bewusstseinssprüngen aller Art und Aha-Erlebnissen konfrontiert, die sich dann immer wieder als anzweifelbar erwiesen. Sie lösten sich auf wie die brennende Kerze des Descartes, die zugleich da war und vor seinen Augen verschwand. Ich wollte die Gegenwart des Nichts überwinden, das mit steter Veränderung den nach absoluten Erklärungen suchenden Menschen verunsichert. Die Frage durchdrang ein zweitesmal mein Gedankenchaos. Und dann ein drittes Mal. Nun setzte sich der eigentliche Sinn meiner Reise durch: Ich will … ich will nicht, doch ich will … ich wollte es schon immer….

Was geschah dann?

Meine Liebe zur Wahrheit war stärker als meine Angst davor. Da kam auch schon das Wort. Klar und deutlich habe ich es empfangen, unmissverständlich und sehr einfach: „Wenn Du wissen willst, wer ich bin, dann musst du werden, wie ich bin.“

Sonst nichts! Kein Lichtblitz, nicht einmal der Schimmer eines göttlichen Antlitzes – nur die Bedingung des Wissens. Du musst werden, wie ich bin? Auf dem Weg zurück nach Jerusalem begann mich diese Frage zu quälen. Sein, wie er ist? Ein „einziggezeugter Sohn Gottes“, der „von der Jungfrau Empfangene“ oder „Eingeborene“ oder gar ein „Christus“, ein „Messias“ oder „Gesalbter“? Unbegreifliche Begriffe, die eine Identifikation mit diesem höchsten Wesen unmöglich machten.

Damals erwies sich der katholische Christus, der mormonische, der Christus der Baptisten, der Mann im Grabtuch von Turin, der essenische, der indische, meiner, deiner… als tatsächliches Hindernis. Heute bin ich davon überzeugt, dass Jeschu, der Gesalbte, zunächst als ganz normaler Sterblicher gezeugt und geboren wurde, so wie auch Buddha. Ich nenne dies die erste Zeugung. Jesus wurde erniedrigt unter die Niedrigsten, er war ein Armer unter Ärmsten, er kannte Krankheiten und Schwäche. War sogar als Leprakranker verachtet – so wie es im 53. Kapitel des Jesaja beschrieben steht. Durch eine zweite Zeugung und Geburt nicht nach dem Willen des Mannes, ist es ihm gelungen, sich zu heilen. Trotzdem ist es ihm gelungen, sich zu heilen und zu seiner vollen Größe heranzuwachsen. So wurde er erhöht über die Höchsten. Er wurde zum mächtigsten Herrscher unter den Herrschenden, nicht aber als Herr der Welt, sondern weil er, ohne Wunsch über andere herrschen zu wollen, über sich selbst herrschte. So war er frei. Er wurde der Reichste unter den Reichen: Da er nichts besitzen wollte, nahm er (An-)teil an allem – auch an der Lust und Freude am Leben. Seine Geschichte findet ihren trivialen Nachhall im amerikanischen Traum vom Tellerwäscher, der ein Millionär wird. Sharing and caring, natürlich. Christi Schicksal und sein Werdegang war so angelegt, dass niemand, sei er auch noch so schwach, sagen könnte: Was der vollbracht hat, kann ich nicht nachvollziehen.: Was Jesus, möglicherweise von den anderen Helden und Erleuchteten jungfräulicher Geburt unterschied, war sein Weg, den nicht einer, sondern so viele, als da selbstbestimmt und freien Willens wollten, gehen konnten. Der Weg, durch ihn offenbart, wurde wieder versperrt – meist durch die Stellvertreter Christi und deren Beamten. Dem Bemühen, zu werden, wie er ist, stand auch unüberwindbar Christi Gebot „Werdet vollkommen, wie ich vollkommen bin“ entgegen. Stammt es wirklich von einem Erleuchteten oder einem zynischen Menschenverachter? Neue Fragen türmten sich vor mir auf wie schroffe Berge. Werde ich sie versetzen können?

Irgendwann einmal hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass wahrhaftiges, letztes Wissen oder die „Macht zu Sein“ weder durch kontemplative Betrachtung, noch durch Nachdenken und auch nicht durch naturwissenschaftliche Betrachtung manifest würde, sondern allein in der Identität mit dem Gegenstand des zu Erkennenden. Deshalb musste ich den Kern des Christuswesens bei mir selbst suchen oder aber mein Ego aufgeben. Gab es einen Kompromiss, eine Synthese, die aus der dualen Falle führen könnte? „Ich selbst bin es, den du suchst,“ sagte ich zu mir, „Nicht den Jesus der Kirchen.“ Der schmale und gefährliche Weg war wieder offen.

Welche Erfahrungen hast du auf diesem Weg gemacht?

Mein erster Schritt zu einem praktischen Verständnis von Christus lag in dem Bemühen, seinen Namen zu verstehen – wobei mir der Sinn wichtiger ist, als sprachwissenschaftliche Korrektheit und Buchstabentreue.

Jesus oder Jeschu, das ist allgemein bekannt, bedeutet „In Jahve ist das Heil“, indes Jahve eine Art tautologischer Umschreibung des absoluten Seins sein könnte: Ich bin, der ich bin oder ich kann sein, der ich sein kann oder ich werde sein, was immer ich sein werde…

Im Vordergrund steht in jedem Fall das absolute ICH BIN, repräsentiert durch das wahre Selbst dessen, was da war, ist und sein wird. Sozusagen das zeitlose Urbild des Wesentlichen. Es könnte durchaus der Genius eines Menschen sein. Unser göttlicher Anteil am Ganzen. Wer immer, gegen den Willen und die Versuchungen der Welt, die uns allerlei Ersatz-Identitäten anbietet, dieses „wahre Selbst“ als Werdekraft oder vitales Prinzip zulässt, bzw. wirken lässt, findet darin sein Heil und seine Erlösung. Alle aber, so die Verheißung, die diesen Namen, dieses Kreuz des wahren Selbst, auf sich nehmen, werden von Gott gezeugt und aus ihm geboren. Das ist die Salbung zum Christus oder Messias. Sumerisch-ägyptische Traditionen weisen auf einen „Mit dem Samen Gottes Gesalbten“ hin. Die Zeugung eines aus Gott geborenen, neuen Menschen lässt sich mit den Inhalten des Buches Das Geheimnis der goldenen Lotusblüte von Richard Wilhelm und C.G. Jung verbinden. Tibetisch-tantrische oder taoistische Elemente scheinen durch, geht es doch da um die Zeugung des Allbuddha oder der, wie ich meine, Christusnatur. Letztlich erkenne ich moderne Paralellen: Genforschung und -technik befassen sich mit dem Designer-Menschen, dem Mensch im Bilde des Menschen.

Du meinst, wir tragen eine Art Sehnsucht in uns, uns selbst nach dem Bild, das wir von uns selbst haben, zu formen?

Ja. Mit der Beantwortung von Fragen wie Wer-bin-ich?, Wo-komme-ich-her? versuchen wir uns erste Vorstellungen von uns selbst zu machen. Irgendwann taucht die Frage Was-möcht-ich-gerne-sein? auf, und damit kommen Selbstverwirklichungsstrategien auf den Tisch. Auf der Suche nach Selbstvergewisserung ist mir klar geworden, dass der einzig feste Grund, auf den ich Selbsterkenntnis bauen könnte, nur das von allen materiellen und persönlichen Umständen befreite Ich Bin oder Seinsbewusstsein sein konnte.

Nichtwissend, was ich bin, lebe ich aus der Gewissheit, dass ich bin. Diese Abstraktion erleichtert es mir, Illusionen über mich oder fremde Bilder von mir (und anderen) zu überwinden.

Die Kraft des „Dass“ erfahre ich seit meinem Rendevous mit dem Grabtuch in Turin (zur Zeit der Flutkatastrophe in diesem Jahr) in besonderer Weise. Es gibt nach dem jüngsten Stand der Sindone-Forschung heute kaum mehr Zweifel, dass der Abdruck des Mannes im Grabtuch von Jesus stammt. Wenn dies wahr ist, dann beweist diese Tatsache jedoch nicht, dass er der Christus der Kirchen ist, bzw. was ein Christus ist. Selbst wenn der Abdruck durch Hitze oder Strahlung, die manche als Beweis für die Auferstehung werten möchten, entstanden ist, dann beweist dies noch längst nicht, dass er der alleinerlösende Christus war. Das Tuch beweist nur, dass es einen Mann namens Jeschu gab, der möglicherweise erleuchtet und in gewisser Weise auch des Lebens mächtig war – ob als Guru, Yogi, Magier oder Zauberer, darüber sagt es nicht viel. Diese Frage muss anders beantwortet werden – am glaubwürdigsten von einem, der selbst ein Christus oder wenigstens wie Christus ist.

Die Gewissheit, dass es einen historischen Jeschu gab, sollte allerdings hinreichend motivieren, herausfinden zu wollen, welche Rolle er in unserer eigenen Menschwerdung spielt. Um diese Frage schlüssig zu beantworten, brauche ich nicht das Bild des Gekreuzigten, weder aus dem Grabtuch, noch als Vision, denn nicht einmal ein authentisches Foto von der Kreuzigung oder Grablegung würde irgendetwas beweisen.

Du als Fotograf sagst dies?

Ja, gerade deswegen. Ich habe Erfahrung mit der Bedeutung von Bildern. Sie können wohl etwas bewirken, aber in letzter Konsequenz nichts beweisen. Beweise sind allein die Früchte des Lebens – im Zusammenhang mit einem Christus ist es der Weg und die Fülle des eigenen Lebens.

In letzter Zeit zieht es mich immer öfter und länger auf meinen Berg in Boulder, Utah. Als ich dieses Jahr im Frühling dort war, hatte ich das Gefühl, ich sollte einmal auf Distanz zu allen meinen Projekten als Autor, als Fotograf, als Musiker und sonst was gehen, um Klarheit darüber zu gewinnen, was ich eigentlich will und wofür ich eigentlich stehe. Um allzuviel Denken oder gar Grübeln zu vermeiden, habe ich mich mit Alltagsarbeiten beschäftigt: Aufräumen, Saubermachen, mit unseren Hühnern, mit Unkraut usw. … nur nicht mit spirituellen Dingen oder gar einem visionquest. Ich habe Erdbeeren, Knoblauch, Tomaten, Rosmarien, Salbei und andere Kräuter gepflanzt. Bei diesen sehr einfachen Tätigkeiten, die in einem Haus, auf einer Farm und in einem Garten anfallen, ist mir aufgefallen, dass ich mit allem, was ich tue, mich selbst (auf)baue oder (zer)störe. Der Körper ist in der Tat das Haus oder der Tempel meines „wahren Selbst“ – nach dem Grundsatz „was aussen ist, das ist auch innen, was innen ist, das ist außen“, wäre bei einer bestimmten Seins-Qualität Geist und Körper identisch. Ein solcher Mensch könnte tatsächlich von sich selbst sagen: „Wer mich sieht, der sieht MICH“. Ich habe nicht nur einen Körper, sondern ich bin auch Körper. Vom Haben also zum Sein…

Die Tempel Gottes sind stets mit den besten, verfügbaren Materialien erbaut worden. Jesus hat seinen Körper mit dem Tempel ver­glichen. Die besten Materialien zum Bau dieses Hauses sind: gute, vollwertige Ernährung, saubere Luft, klares Wasser, keine Rauschmittel, Schlaf und gute (Wach-)Träume, Bewegung und Entspannung, keinen Turbo-Stress, keinen Hader, keinen Streit und keinen Neid, um Vergiftung durch körpereigene Chemie und Hormone zu vermeiden, und vieles mehr… es gibt dahingehend hinlänglich buddhistische, yogische, christliche, schulmedizinische und andere Ratschläge.

Der nächste Schritt lässt sich für mich am besten aus einem Grundgedanken des Dzog-chen entwickeln: Alles, was ist, hat als Grundbedingung seines Seins die ihm innewohnende Erleuchtung, der man sich nur hingeben kann. Jede Vorstellung davon verfälscht dieses „Licht“. Für mich bedeutet dies, dass alles, was ich sein kann, bereits in mir angelegt ist. Es muss nur erkannt werden, um es zu entfalten. Diese Erkenntnis ist nicht „menschgemacht“; nur durch Ablegen der eigenen Vorstellungen davon, seien sie rational, akademisch oder sonstwas – eben das, was wir für richtig und wichtig halten – wird sie uns zugänglich. Dieses Ablegen der Kleider und Schleier unseres menschlich unzulänglichen Wissens ist ein spiritueller Striptease, vor dem sich die meisten Menschen, insbesondere die Klugen und Gelehrten scheuen. In dem Maße wie wir uns entblößen, entblößt sich die Wahrheit. Bis sie nackt vor uns steht. Totally nude – wie man in Las Vegas sagt.

Der letzte Schritt ist die Vereinigung mit dem Erkannten. Mystiker würden sofort an die heilige Hochzeit denken. Andere nur an Inspiration. Es geht um die harmonische Einheit aller „Teile“, wodurch wir zu einem ganzen Menschen werden. Reduziert auf die Einheit von Geist und Körper, des Inneren und des Äußeren, drängen sich mir wieder Formulierungen , wie „von Gott gezeugt“ und „aus Gott geboren“, auf. Dies ist ein schöpferischer Akt – ähnlich der Zeugung eines Kindes..

Kannst du diesen Akt beschreiben?

Über diesen schöpferischen Vorgang des Hervorbringens des Seins gibt es eine Menge Vermutungen, ganze Epen und Kosmologien. Man hat da die Qual der Wahl. In all diesen Erklärungsversuchen ist ein wahrer Kern, bzw. etwas Wahres enthalten. Diese Fragmente oder Splitter des zerbrochenen Spiegels der Erkenntnis herauszusuchen und zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen, wäre eine Herausforderung an  unser Informationszeitalter. Ganzheitliches Denken und der intertaktive Austausch zwischen Kunst, Philosophie, Wissenschaft, Forschung und…und… sollten uns befähigen, Klarheit und Licht, also auch Erleuchtung  in dieses Bild zu bringen. Für den Mensch ist dies des Menschen Aufgabe. Er muss sich letztlich Antworten auf die Frage seines Überlebens und dem Sinn seines Lebens geben. Wenn man in der völligen Entfaltung des ihm innewohnenden Potentials den höchsten Sinn des Lebens sieht, so sieht sich der Christ, gefangen im christlichen Dogma, mit einem himmlischen Vater konfrontiert, der seinen Einziggezeugten oder Eingeborenen durch Zeugung mit einer Jungfrau in die Welt schickt und der ihm in Allem gleich sein wird ode r wie Jesus sagt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“

Diesen Mythos kennen wir hinlänglich aus den verschiedensten Kulturen. Buddha, Krishna, Christus, Hermes, Dionysos und viele andere wurden als von einem göttlichen Vater gezeugt und einer Jungfrau geboren, betrachtet. Wie aber lässt sich das nun für einen auf die Nachfolge Christi bedachten Menschen nachvollziehen? Im Gesamtkunstwerk Leben ist es für mich bedeutsam, dass biologische Vorgänge in einer harmonischen Beziehung zu theologischen oder mythologischen Erklärungen stehen, ohne dabei Verrenkungen machen zu müssen. Ich habe für mich, von allen Lehren und in erster Linie von christlicher Tradition und Lehre abweichend, eine Schau entwickelt, die mir im Sinne eines harmonischen Weltbildes gefällt, auch wenn sie noch nicht ganz schlüssig ist:

Die ungeformte, unpersönliche, abstrakte und zeitlose Idee bedingt, so wie Materie Antimaterie bedingt, eine persönliche, konkrete, aber vergängliche Gestalt. Diese ambivalente Natur des Seins, in der das erschaffende Prinzip identisch ist mit dem Erschaffenen, ist auch der ewige Urgrund allen Seins.Ich behaupte nun einfach, Gott sei die eine Seite, nämlich das wahre, lichte aber unpersönliche Wesen, die andere Seite wäre dann die verdichtete, das möchte ich ohne Bewertung verstehen, „dunkle“, persönliche Manifestation. Die Zeugung wäre dann ein Akt der Selbstzeugung griechisch Autopeiose. Naturwissenschaftler erkennen in der kosmischen Schöpfung durch und durch autopeiotische Vorgänge. Eng verbunden damit sehe ich die Parthenogenese, in der natürlichen Schöpfung bekannt als ungeschlechtliche Fortpflanzung oder Jungfernzeugung. Also: Parthenogenese und Autopeiose. Jungfern- und Selbstzeugung. Blicken wir auf Buddha:

Maya, der Titel der Jungfrau Kali als Schöpferin irdischer Erscheinungen, das heißt aller Dinge, die aus Materie gemacht und für die Sinne wahrnehmbar sind. Sie brachte auch den Erleuchteten, Buddha, zur Welt. [Zitiert aus dem Buch Das geheime Wissen der Frauen von Barbara Walker, dtv.]

Und du glaubst, dass Buddha hier auf eine Selbstzeugung anspielt?

Ja. Sich selbst zeugend, formt sich das Eine, nämlich das wahre Selbst, aus sich selbst, nämlich der Einheit von Geist und Materie, durch sich selbst, nämlich durch seine vergängliche, illusionäre Erscheinung der Jungfrau Maya/Maria,  zu seinem eigenen Bild. Dies ist der Körper (des Menschen), der im idealen Falle völlig dem zeugenden Prinzip, also dem Samen entspricht. Die Frucht wäre, weil es um die Zeugung eines innewohnenden, also eingeborenen Potentials geht, der Eingeborene und weil dies ein einzigartiger, einmaliger Akt ist, auch der Einziggezeugte. Das ist die zweite Geburt, von der ich schon einmal gesprochen habe.

Sollte nun tatsächlich ein Mensch, z.B. Buddha, Zarathustra oder Jesus und in deren Nachfolge vielleicht sogar „viele“, in der Lage sein, sich auf dem Lager der Heiligen Hochzeit selbst zu zeugen und zu gebären, dann dürfte man in der Tat sagen, dass das Ideal, das erleuchtete Urbild, gleichzusetzen mit dem logos,  zum Bräutigam wird, dessen Wort sein genetisches oder Erbe (Testament) oder sein zeugendes Sperma (aus den Testikeln) ist.  Dieser Same wird empfangen von der jungfräulichen Braut (Maya oder Maria) oder dem eigenen Fleisch. Der Körper als Braut empfängt dieses genetische Erbe, in seine Zellen, dem weiblichen Ei.

Jungfräulich oder unbefleckt muss die „Braut“ deshalb sein, da andernfalls ihr Wesen ( = ihr Erbe, ihre Gene oder der weibliche Same) durch Einflüsse aus dem weltlichen Umfeld belastet sein könnte. In anderen, bibelnäheren Worten könnte man auch sagen, sie, also die fleischliche Natur des Menschen, hätte sich durch Anbetung und Hingabe an fremde, wesensuneigene Götter befleckt. Siehe das Goldene Kalb! Deshalb, so verstehe ich es heute, habe ich das Christkindl durch Schmelzen von seinen weltlichen „Befleckungen“, sprich Interpretationen und miss­bräuchlicben Vergewaltigungen, gereinigt und in den körperlosen, flüssigen (Samen-)Zustand zurückgeführt.

Wenn dir in Amerika jemand sagen will, dass er sich von dir manipuliert oder zu stark beeinflusst fühlt dann kriegst du oft ein unwirsches, ablehnendes don’t fuck me: Fuck yourself! Oft, so meine Erfahrung,  ist der größte Segen im schlimmsten Fluch enthalten

O Gott, wer soll das verstehen … ich möchte damit ja nur sagen, dass die Erkenntnis oder Verkörperung des eigenen, wahren Selbst meist durch aufgezwungene oder verführerische Ersatz-Identitäten verstellt ist. In diesem Fall kann ein  Mensch nie  ganz sich selbst oder – so meine ich – Chris­tus sein.

Wer aber hat schon den Mut, gegen die Widerstände und Versuchungen der Welt sich selbst sein zu wollen? Sind sie es vielleicht die, die reinen Herzens sind – geläutert im Feuer der Liebe zu sich selbst und ihren Nächsten, die sie für das lieben, was sie sind? Könnte es nicht sein, dass sie deswegen das Angesicht Gottes, nämlich ihr wahres Selbst oder Urbild, schauen?

In angepassteren, modernen Worten könnte das so klingen: Diese vom Gehirn wahrnehmbare und in einem blueprint  oder eine software transformierbare, virtuelle Schau des eigenen Ideals könnte, z.B. mit Hilfe von Biophotonen, den genetischen Code korrigieren oder neu programmieren. Über längst erprobte Methoden der natürlichen Schöpfung, z.B. durch Botenstoffe oder körpereigene Viren würde dieses neue Wort (DNA) oder Erbe auf die Zellen des Körpers übertragen, die diesen dann erneuern und heilen – ja vielleicht sogar zum Bilde des Genius individualis, also der göttlichen Identität des menschlichen Individuums, neuzugestlaten.

Wird es ein Patent auf dieses neuen „Design“ geben? Vielleicht als scherzhafte Einlassung.

Braucht es nicht, weil es ein einmaliger, nicht reproduzierbarer Vorgang ist. Fremde Gene wären bei diesem Erneuerungs- und Entfaltungsprozess unerwünscht, denn es geht ja ausschließlich um einen selbst. Käme also nur ein parthenogenetischer Akt in Frage. Natürliche Klonierung, z.B. bei Kröten, bietet Ansatzpunkte zur biotechnischen Lösung menschlicher Selbstzeugung. Wir wissen zum Beispiel, dass Eidechsen und  Regenwürmer bei Bedarf ganze Körperteile nachwachsen lassen und verändern können. Eine bestimmte Spezies von Barschen z.B. beherrscht Geschlechtsumwandlungen. So gibt es hinreichend Hinweise aus der Natur, die Aufschluss geben über die technische Machbarkeit des Ansinnens „sich selbst aus sich selbst zu zeugen, bzw. neu zu gestalten“.

Mutation als natürlich-biologische Technik das Genom zu verändern, wäre ebenfalls ein Weg, doch sie benötigt zu große zeitliche Räume. Da sich aber die Zeit immer mehr beschleunigt und damit auch die Verfügbarkeit von Wissen und Erfahrungen, könnte ich mir vorstellen, dass der Mensch es lernt, kraft seines Geistes biologische Prozesse zu beherrschen, die dann auf natürliche Weise ermöglichen, was sonst artifiziell mit Hilfe der Gentechnik; kosmetischer Chirurgie, Rassenzüchtung und viel Geld unternommen wird.

Die Geschichte der Menschheit ist voll von Versuchen, sich selbst zu heilen, zu erneuern und zur Fülle zu entfalten. Alles was denkbar ist, ist letztlich auch machbar – all you can dream, you can do.  Oft braucht der Mensch nur die Gewissheit, dass etwas möglich ist, um es dann durch Glauben in die Tat umsetzen zu können. Diese Tat bedarf einer Autorisation, weil eben ein Autor zugange ist, als auch der Legitimation, denn sie ist wie alles Schöpferische auf Gesetze bedingt.

Die materialistische Welt glaubt, dass bereits die Verfügbarkeit von Wissen und Mitteln, also die Machbarkeit, eine hinreichende ethische Grundlage und Legitimation darstellt.

Ist es nicht merkwürdig, dass ausgerechnet Bill Clinton zum Abschluss der Kartierung des menschlichen Genoms gesagt hat, dass wir nun gelernt haben, die Sprache Gottes zu verstehen. Nachdem viele Menschen glauben, dass die Welt durch das Wort Gottes erschaffen wurde, kann man sich die Tragweite eines solchen Statements aus dem Mund des mächtigsten Präsidenten der Welt vorstellen. Jetzt, da wir wie die Götter werden, dürfen wir auch mit dem Leben spielen!

„Wisst ihr nicht, dass ihr Götter seid“ Jeschu haut in die gleiche Kerbe. Natürlich sind wir es! Aber gerade deshalb brauchen wir im Umgang mit den Mächten und Geheimnissen des Lebens eine entsprechende Ethik, die sich allein in der Liebe zum Leben erfüllt. Bioethik wäre zwar das richtige Wort, aber die damit verbundenen Inhalte stimmen nicht. Nur Friedliebende schaffen echten Frieden, nur Heilige bringen das Heil zustande. Wenn andere dies versuchen, dann…… ein Blick in die jüngste, deutsche Vergangenheit sollte uns darüber belehren, wie gefährlich es ist, den Übermenschen und eine neue Weltordnung zu erschaffen.  Es wäre allerdings kurzsichtig und dumm, nach dieser Katastrophe nun das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Deutschen gingen einen Irrweg, bestimmt von Hass, Ignoranz, Arroganz und Gier. Das Dritte Reich gibt es zwar nicht mehr, doch Hass, Ignoranz, Intoleranz und Gier regieren nach wie vor die Welt.

Und: Die Wurzeln des Menschen Sehnsucht nach Heil (und dessen Sieg) sind bei aller Zufälligkeit der Schöpfung tief in ihm als teleologischer, also zielgerichteter Sinn verankert. Diese Wurzeln lassen sich nur mit dem Menschen selbst beseitigen. Die Überwindung von Unwissen, Gier und Hass jedoch ist möglich. Durch die Verwirklichung der eigenen Buddha-, oder um den Kreis zu schließen, Christusnatur.

Wie passt das alles in unsere Welt?

Gut. Sehr gut sogar. Für mich ist die Verwirklichung solcher, sagen wir einmal Spekulationen oder Träume, nur im Rahmen des Gesamtkunstwerkes Leben möglich, das die Vielfalt der Kunst, Wissenschaft, Religion, Philosophie und und und….auch der Politik ganzheitlich, nicht zentralistisch, zusammenfasst. Es ist interessant, dass gerade die deutsche Verfassung der Kunst, der Wissenschaft und der Forschung unglaubliche Freiräume einräumt, die aber durch einen nach wie vor eingeschränkten Kunstbebegriff gar nicht genutzt werden. Wenn es stimmt, dass die Wahrheit frei macht und wir tatsächlich eine freiheitliche Ordnung repräsentieren, dann brauchen wir auch konkrete Freiräume, in denen sich Wahrheit verwirklichen kann.

Ich würde gerne einmal mit einem Verfassungsrechtler Artikel 5 unseres Grundgesetzes ausloten, der nicht nur besagt, dass Kunst, Forschung, Wissenschaft und Lehre frei sind, sondern überdies eröffnet, dass nur die Lehre nicht  von der Treue zur Verfassung entbunden ist. Logisch und konsequent fortgedacht, kann dies nur bedeuten, dass die Kunst, Wissenschaft und Forschung von der Treue zur Verfassung entbunden sind! Ist dies eine Verbeugung vor den Narren und Göttern der Kunst, der Wissenschaft und Forschung? Müsste nicht ein Staat wie unserer Freiräume für das Gesamtkunstwerk Leben zur Verfügung stellen und schützen, sozusagen Überlebensnischen oder Friedensübungsplätze oder meinetwegen auch Biotope, in denen sich ungestört der schöpferische Genius des Menschen und letztlich auch „Christus“ entfalten kann?

Joseph Beuys, Charles William Morris und viele andere waren davon überzeugt, dass sich die Würde des Menschen erst in der Entfaltung seiner schöpferischen Natur erfüllt. Wenn dies wirklich so ist, dann gibt uns unser Grundgesetz auch ein Rechtsmittel in die Hand: Zum Schutz der Menschenwürde binden die Grundrechte (Art. 1, Abs. 3) Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Einem Menschen, der im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (Präambel des GG) christliche und menschliche Ideale zur Grundlage seiner Kultur macht, sollte dieses unmittelbare, als nicht verhandelbare und gegenwärtige Recht, ganz sich selbst sein zu wollen, nicht verwehrt werden. dürfen. Eine Gesellschaft wie unsere, wäre sie ihren Grundwerten treu, müsste ihn sogar fördern. Das setzt allerdings eine Ethik vom Allerfeinsten und -höchsten voraus.

Jetzt wird es spannend. Was ist denn dieser hohe ethische Maßstab?

Vor einigen Jahren habe ich mich mit dem Finanzamt angelegt, weil ich mehr Mitbestimmungsrecht bei der Verwendung meiner Steuergelder erstreiten wollte. Diese Auseinandersetzung eskalierte zu einer Unabhängikeitserklärung meinerseits zu einem Freikörper im Sinne eines Freistaates (…ein freier Geist in einem freien Körper). Ich habe zwar nichts bewirkt, aber doch einige wertvolle Erfahrungen im Hinblick auf das sittliche Verhalten unserer Gesellschaft gemacht. Zwei Dinge muss der Mensch als Staatsbürger und – Diener lernen: Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig  und  Der Mensch ist nicht um des Gesetzes willen erschaffen, sondern das Gesetz um des Menschen willen. Darüberhinaus muss er akzeptieren, dass Gut und Böse keine absoluten Werte darstellen.

Freiheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Gleichheit und Einheit sind keine schwärmerischen Utopien, sondern Verfassungsgüter. All dies, auch Würde und Friede, wird wahr und lebendig durch die Liebe. Liebe ist alles, sie macht unmöglich Erscheinendes möglich, selbst wenn es noch so verrückt wäre – verrückt nach den Maßstäben unserer Gesellschaft, meine ich.

Gesprächspartner war Michael Frensch

Kommentare

Hi Anselm,
lebst Du jetzt in den USA?
Wir haben uns entweder in Wentdorf
Ütersen oder in Aachen kennengelernt.
Ich wohne jetzt in Olching, nicht sehr weit
von Landsberg, wo Du herkommst.
Nach der BW habe ich an der Tu
In München Elektrotechnik studiert
und war nach dem Studium bis heute
für US Unternehmen wie z.B. 3M tätig.
Herzliche Grüße
Herbert Greulich

Ich

Hallo Anselm,
vermutlich kannst Du Dich nicht mehr an mich erinnern. Wir saßen in der 4. Klasse Gymnasium in Landsberg a. L. in einer Schulbank und haben viel herumgezeichnet, wenn es der Unterricht zugelassen hatte. Aber ich erinnere mich noch gut an Deine damals schon deutlich erkennbare künstlerische Ader. Leider musste ich nach diesem Schuljahr Landsberg verlassen, weil meine Eltern aus beruflichen Gründen nach Augsburg ziehen musste. Da war ich dann an eine wahre Katastrophenschule gekommen. Man ist trotzdem seinen Visionen gefolgt. Heute habe ich meinen eigenen kleinen Verlag. Ich arbeite hauptsächlich an seefahrts- und marinegeschichtlichen Büchern. Wäre nett, wenn wir in Kontakt kommen könnten.
Meine Verlagshomepage http://www.das-blinkfeuer.de
Ich wohne seit 1993 in Schwerin, war aber viele Jahre im Ausland tätig.
Herzliche Grüße
Dieter

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